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Man nehme vier charakterlich höchst unterschiedliche Horror-Autoren, stecke sie zusammen über Nacht in ein berüchtigtes Spukhaus und übertrage das, was sie dort erleben, live im Internet. Ehrlich, was kann dabei schon schiefgehen?

Das hat sich der geheimnisvolle (und seltsam unappetitlich beschriebene) Wainwright gedacht, ein reicher junger Mann, der eine populäre Plattform für "Horror-Events" betreibt und nun seinen nächsten PR-Coup landen will. Obwohl die Angelegenheit einen recht dubiosen Eindruck macht, schafft er es mit einem gehörigen Batzen Geld tatsächlich, vier anerkannte Stars des Genres zu engagieren.

Vier Archetypen

Jeder der vier scheint einen Archetypus zu verkörpern – kein Wunder, dass Leser darüber spekulieren, für welche realen Autoren die Romanfiguren stehen könnten. Ich komme meinerseits übrigens auf kein schlüssiges Ergebnis und verzichte daher auf Vermutungen. Da hätten wir zum Beispiel Sam McGarver, einen Autor von Mainstream-Horror, der stets in Kleinstädten angesiedelt ist und Kleinfamilien in den Mittelpunkt stellt. (Ja, klingt nach Stephen King, aber ganz so eindeutig ist's dann doch nicht.)

Sams schieres Gegenteil ist die getrieben wirkende T. C. Moore, die Kritiker mit einer verstörenden Mischung aus Sex und Gewalt provoziert. Diese beiden sind die zentralen Figuren von "Kill Creek". Dazu kommt dann noch Sebastian Cole, der greise Doyen des Genres und ein wahrer Gentleman-Schriftsteller. Und schließlich Daniel Slaughter, der am Fließband schundige Gruselbüchlein für jugendliche Leser auswirft – voller Gewalt, aber stets mit einer christlichen Botschaft garniert.

Alle vier plus Wainwright plus dessen Assistentin Kate fungieren als Perspektivfiguren – die einen schwerpunktmäßig, die anderen nur sporadisch. Autor Scott Thomas legt die Erzählervollmachten in seinem Romandebüt also recht großzügig aus: Ein bisschen wird allen in den Kopf geblickt – einmal sogar einem Waschbären, der sich am Spukhaus vorbeidrückt.

Der Schauplatz

Richtig, das Spukhaus. Dessen Geschichte wird uns recht ausführlich im Prolog geschildert, hier die wichtigsten Eckdaten: Gelegen nahe Lawrence, Kansas, wurde es Mitte des 19. Jahrhunderts zum Schauplatz eines Lynchmordes an seinem Erbauer und dessen Frau. Danach hat es dort niemand recht lange ausgehalten – bis auf zwei sonderbare Zwillingsschwestern, die sich darin in den 1970ern niederließen. Die luden einmal einen Parapsychologen mit dem bemerkenswerten Namen Malcolm Adudel ein, und dessen Buch hat das Spukhaus für einige Zeit berühmt gemacht. Inzwischen steht es längst wieder leer und wäre schon in Vergessenheit geraten, wäre der umtriebige Wainwright nicht über besagtes Adudelbuch gestolpert.

Als die sechs Protagonisten ihr vorübergehendes Domizil am Kill Creek beziehen, werden sie der Reihe nach mit klassischem Spukhaus-Inventar konfrontiert. Es ist praktisch alles da, was man sich erwarten würde: flüsternde Stimmen, unerklärlicher Luftzug, dreckige Brühe, die aus dem Wasserhahn quillt, Pflanzenranken, die nach den Füßen zu grabschen scheinen, und dazwischen immer wieder mal eine Vision von längst verstorbenen Angehörigen. Aber keine Angst, es wird noch mehr geboten werden!

Parallel zum Unwellnessfaktor, den das Haus beisteuert, setzt sich allmählich ein Seelenstriptease in Gang. Denn jeder der vier Autoren ringt mit Problemen: Daniels Bücher erscheinen seinem Verlag langsam zu unchristlich, Sam leidet unter einer Schreibblockade und dem Scheitern seiner Ehe, T. C. ärgert sich mit einem Filmstudio herum, das ihre Romanvorlage total verhunzt, und Sebastian fürchtet, dement zu werden. Sam und T. C. werden zudem von schweren Traumata aus ihrer Vergangenheit geplagt – der wahre Grusel findet eben doch im Kopf statt. Zumindest, bis jemand zur Axt greift.

Ein bisschen meta, aber wirklich nur ein bisschen

Anfangs noch doziert Sam, der als Zweitjob eine Uni-Vorlesung über die Geschichte des Horrors in Literatur und Film hält, dass die Beschränkung auf einen klar abgegrenzten Ort ein Kernelement des Genres sei. Glücklicherweise ist das nicht gleichbedeutend damit, dass es nur einen einzigen Schauplatz geben darf. (Über 500 Seiten lang in denselben vier Wänden herumzugurken wäre auch langweilig, so schauerlich kann das Interieur gar nicht sein.) Und darum wird sich der wahre Wahnsinn auch erst dann entfalten, wenn die sechs wieder abgereist sind. Dann wird die Post abgehen und literweise frisches Blut zustellen: Offensichtlich wollte sich Scott Thomas, der hauptberuflich an Kinder- und Jugendserien für Disney & Co arbeitet, mal ein bisschen abreagieren.

Sams Vorlesungsstoff ist übrigens das einzige Mal, dass "Kill Creek" auf die Meta-Ebene geht. Nachdem sich das Horrorgenre seiner Konventionen sehr bewusst ist und gerne mal auf Selbstbespiegelung setzt ("Scream"!), ist der weitgehende Verzicht auf Verweisgut direkt erfrischend. Ebenso wie der Umstand, dass der von Wainwright verheißene Livestream aus dem Haus für die Handlung letztlich keine Rolle spielt. Ist natürlich Geschmackssache, aber zumindest ich kann auf die literarische Entsprechung von Wackelkamera und ähnlichen Modeschnickschnack verzichten.

Unterm Strich haben wir es also mit einem recht konventionell gestrickten, aber spannenden Roman zu tun – und Spannungserzeugung ist ja auch seine Kernaufgabe. Treffender, als es bereits in einigen Leserrezensionen steht, könnte ich es auch nicht formulieren: solider Grusel.