Türkis-blaue Koalition

Trotz Ibiza-Gate, trotz Casinos-Gate und trotz Spesen-Gate rund um seinen blauen Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache: Im Wahlkampf betonte ÖVP-Chef Sebastian Kurz, nun mit Abstand größter Gewinner bei der Nationalratswahl und wohl schon demnächst mit einem Regierungsbildungsauftrag ausgestattet, in Dauerschleife, wie ersprießlich doch die Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen gewesen sei. Deswegen galt eine Neuauflage von Türkis-Blau, diesmal mit dem neuen FPÖ-Chef Norbert Hofer an seiner Seite, als durchaus wahrscheinlich – bis zur ersten Hochrechnung, die den Freiheitlichen deutliche Verluste auswies. Die bewirkten, dass Generalsekretär Harald Vilimsky plötzlich "keinen Auftrag" mehr für eine Fortführung der Koalition sah.

Dabei wäre sie wohl jene Variante, die am einfachsten zu verhandeln wäre. Denn inhaltlich geht es beiden um ein Fortsetzen ihres 2017 paktierten Regierungsprogramms, in Kurzform: Den Staat weiter abschlanken; Steuern runter und bloß keine neuen her; plus eine restriktive Politik gegenüber Ausländern und vor allem Muslimen. Für Streit hätte höchstens die Personalie von Ex-Innenminister Herbert Kickl gesorgt, der laut ÖVP einem neuen türkis-blauen Kabinett nicht angehören sollte – "völlig wurscht, auf welchem Sessel" (© Ex-Kanzleramtsminister Gernot Blümel). Denn nach 17 Monaten Daueraufregung mit dem FPÖ-Mann im Innenministerium will die alte, bald neue Kanzlerpartei dieses Ressort zurückhaben. Dazu besteht Kurz auf einem Verbot der Identitären – dagegen sträubt sich die FPÖ zwar, eine unüberwindbare Hürde wäre es nicht.

Auf das bis vor kurzem ebenfalls blau geführte und mittlerweile kaputtgesparte Verteidigungsressort legt die ÖVP hingegen kaum Wert, heißt es – weil es hier nichts zu gewinnen gibt. Hier will es die zusammengeschrumpfte FPÖ aber nicht allzu billig geben: Als blaue Koalitionsbedingung hat Hofer der ÖVP eine mittelfristige Anhebung des Bundesheerbudgets auf ein Prozent des BIP diktiert. Und für die FPÖ angeblich auch nicht verhandelbar: dass Volksbegehren, die von vier Prozent unterzeichnet werden, in eine bindende Volksabstimmung münden. Der türkise Plan sah 2017 zehn Prozent vor. Doch ein Nachgeben würde der FPÖ einen mächtigen Hebel in die Hand geben, um für ihre alleinigen Anliegen zu mobilisieren – und damit wäre wohl Regieren by Chaos angesagt.

Türkis-rote Koalition

Sebastian Kurz macht kein Hehl daraus, dass ihm der Gedanke eigentlich nicht gefällt. Mit "Stillstand" assoziiert er die alte rot-schwarze Koalition, die Vorstellungen der Sozialdemokraten seien mit den seinen vielfach nicht kompatibel. Die "ordentliche Mitte-rechts-Politik", die ihm vorschwebt, könnte sich Kurz in dieser Konstellation abschminken.

Warum sich der Sieger dennoch für eine Liaison mit dem Zweiten entscheiden könnte? Dafür braucht es wohl zwei Voraussetzungen. Erstens müsste Kurz zum Schluss kommen, dass eine Koalition mit der skandalgebeutelten FPÖ, sofern diese nach ihrem Debakel noch will, nach kurzer Zeit zu brechen droht. Zweitens müssten sich die Verhandlungen mit den Grünen wegen grober Differenzen als aussichtslos herausstellen.

Auf der anderen Seite trifft Kurz durchaus auf Gegenwille. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hat kaum kaschiert, dass sie gerne wieder regieren möchte, die Gewerkschaft drängt zurück ins Sozialministerium. Allerdings kann es sich die Chefetage nicht leisten, um jeden Preis in die Koalition einzusteigen, sonst droht ein Aufstand in den eigenen Reihen.

Zwingend ist aus roter Sicht zwar nicht die Abschaffung des Zwölfstundentags, jedoch eine Kompensation: etwa der Rechtsanspruch auf eine Viertagewoche oder der erleichterte Zugang zur sechsten Urlaubswoche. Die Machtverhältnisse in der Sozialversicherung müssten sich wieder zugunsten der roten Seite verschieben, die Sozialpartner ein Comeback feiern.

Treffen können sich die Neopartner bei der Senkung der Lohn- und Einkommensteuer – am türkis-blauen Entwurf gibt es aus roter Sicht wenig auszusetzen. Schlucken müssen wird die SPÖ die Senkung der Konzernsteuern, Herzensanliegen wie die Erbschaftssteuer und die Gesamtschule wird es abermals nicht spielen. Da ist Murren an der Parteibasis zu erwarten. Schon jetzt fürchten Genossen in der Rolle des Juniorpartners einen schleichenden Niedergang à la deutsche SPD.

Atmosphärisch sind die Hürden kaum niedriger. Der Streit und die Hinterfotzigkeiten der letzten rot-schwarzen Koalition sind nicht vergessen. Geht es rein nach der Sympathie, dann wollen die Sozialdemokraten genauso wenig mit Kurz wie umgekehrt. Ein roter Abgeordneter erinnert sich an laufende Demütigungen in der Opposition: "Für uns hatten die Türkisen immer nur eines parat: den Mittelfinger."

Türkis-grüne Koalition

DER STANDARD

"Das hat Charme": So lautete der Stehsatz, den ÖVP-Politiker jedem Journalisten auftischten, der nach Schwarz-Grün fragte. Das war zum Jahresanfang 2003, als die zwei Parteien das erste und einzige Mal über eine Koalition auf Bundesebene verhandelten. Nun könnte Sebastian Kurz in Versuchung kommen, den Spruch zu recyceln, denn es stimmt ja: Aus Sicht des alten und höchstwahrscheinlich neuen Kanzlers hat eine Koalition mit den Grünen den Reiz des Neuen und Unverbrauchten.

Dass diese Konstellation ins Spiel kommt, ist den überraschend starken Wahlergebnissen zu verdanken, die ÖVP und Grüne einfuhren. Am Sonntagabend noch kommen die beiden Parteien im Nationalrat auf 97 Mandate, notwendig für eine Mehrheit sind wenigstens 92. Der Überhang ist also zumindest so komfortabel, dass eine künftige Regierung nicht von der Laune einzelner Abgeordneter abhängig ist.

Dafür muss sich das Paar aber erst einmal inhaltlich finden. Wirtschafts- und sozialpolitisch ist die Kluft groß. Viele Grüne verdächtigen die Türkisen des Neoliberalismus, umgekehrt glauben ÖVPler Sozialismus im grünen Kleid zu erkennen. Der von der Öko-Partei gepushte Klimaschutz spießt sich mit der Rücksichtnahme auf die Unternehmer von türkiser Seite; während Kurz eine C02-Steuer ausgeschlossen hat, ist selbige ein Kernstück des grünen Ökosteuerkonzepts. Und da ist noch die Ausländerfrage: Die Kürzung von Sozialleistungen für Zuwanderer, ein zentrales Anliegen von Kurz, ist für die grüne Basis ein No-Go. Schon allein der Umstand, dass Türkise fehlende Integrationsbereitschaft für alle möglichen Probleme verantwortlich machen, ist für den potenziellen Juniorpartner eine Provokation.

Zwar gibt und gab es Koalitionen aus ÖVP und Grünen schon in verschiedenen Bundesländern, doch dort sind die ideologisch besetzten Themen weitgehend ausgespart. Bundesweit ist die Variante in beiden Lagern unbeliebt. Nur 32 Prozent der Grünwähler wollen laut Sora-Institut die ÖVP in einer Regierung sehen, umgekehrt sind es gar nur 20 Prozent.

Widerstand gab es auch seinerzeit. Anno 2003 sperrten sich die besonders linken Wiener Grünen gegen eine Koalition, was die ÖVP als Grund für das Scheitern nannte. Die Grünen berichteten hingegen von schwarzer Unbeweglichkeit bei Fragen wie Integration, Abfangjägern und der Gleichstellung Homosexueller.

Minderheitsregierung

DER STANDARD

Es war überraschend, wie vehement und klar ÖVP-Chef Sebastian Kurz darauf hingewiesen hatte, dass eine Minderheitsregierung für ihn selbstverständlich eine Variante sei. Sollten die Gespräche mit den anderen Parteien scheitern, wäre eine Alleinregierung die logische Variante. Was auch impliziert, dass die Gespräche mit den anderen Parteien kompliziert werden, wovon Kurz auszugehen scheint. Die Freiheitlichen haben sich als äußerst instabil erwiesen, mit der SPÖ wird es in der Sache und rein menschlich schwierig, mit Grünen und oder Neos könnte es inhaltlich auch recht schwierig werden.

Die Idee, im Parlament das freie Spiel der Kräfte zu suchen und einen Wettbewerb der Ideen zu veranstalten, klingt prinzipiell sympathisch, droht in der Praxis aber an den starren Fronten zu scheitern. Eine Alleinregierung mit 37 Prozent der Stimmen bräuchte jedenfalls die Unterstützung oder Duldung von anderen Parteien im Parlament, sonst sind de facto keine Vorhaben durchzusetzen. Die Frage ist, welche Partei, die zuvor in Koalitionsgesprächen mit Kurz an einer möglichen Partnerschaft gescheitert ist, ihn unter diesen Umständen unterstützen sollte. Eine Minderheitsregierung wäre wohl nur eine Übergangsregierung bis zur vorgezogenen Neuwahl. Dass das über eine Legislaturperiode von fünf Jahren halten könnte, ist äußerst unwahrscheinlich.

Dreierkoalition

DER STANDARD

Es könnte eine Premiere sein. Eine Koalition aus ÖVP, Neos und Grüne ginge sich locker aus, aber wollen sie das auch? Sebastian Kurz hat sich im Wahlkampf nicht in die Karten blicken lassen, aber deutlich gemacht, dass er seine Mitte-rechts-Politik fortsetzen will. Ein Weg, den weder die Grünen noch Neos gehen wollen. Eine Dreierkoalition hätte zwar Charme, doch ein Ungleichgewicht bliebe: die starke ÖVP mit zwei Junioren. Diese gaben sich aber schon im Vorfeld selbstbewusst. Die Neos preschten bereits mit ihren Bedingungen vor: eine Bildungs- und Steuerreform, ein Klima- und Umweltpaket und absolute Transparenz.

Auch die Grünen wissen, dass sie begehrt sind. Klima ist das Thema 2019. Spitzenkandidat Werner Kogler wollte eine mögliche Zusammenarbeit nicht ausschließen.

Und was hätte Kurz davon? Der Konservative könnte sich mit dieser Koalition ein modernes Image verpassen. Natürlich gibt es auch inhaltliche Überschneidungen mit beiden Parteien, aber die Unterschiede ragen deutlicher heraus. Etwa bei den weit auseinanderliegenden Zugängen in der Bildungspolitik, aber auch bei der Klimapolitik.

Die Balance in dieser Konstellation wäre nicht ausgeglichen. Die ÖVP wäre zwar der stärkste Partner, ihr droht aber, dass sich Neos und Grüne bei heiklen Fragen verbünden könnten. Dann sind drei einer zu viel. (Nina Weißensteiner, Gerald John, Michael Völker, Marie-Theres Egyed, 29.9.2019)