Maria Rauch-Kallat hofft auf Türkis-Grün.

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Maria Rauch-Kallat hat die Anbahnung der ersten schwarz-grünen Koalition vor mittlerweile 16 Jahren selbst miterlebt. Als damalige Generalsekretärin der ÖVP erinnert sie sich noch gut an die letzte, 16-stündige Verhandlungsrunde mit den Grünen, die um fünf Uhr früh scheiterte. "An Peter Pilz", sagt sie im STANDARD-Gespräch. Heute sieht sie gute Chancen für diese Koalition, wenngleich sie auch "extrem schwierig" zu realisieren sei.

STANDARD: Welchen Tipp aus den damaligen Erfahrungen haben Sie heute für Sebastian Kurz, der die rechnerische Möglichkeit hat, mit seiner neuen Volkspartei mit den Grünen, die es furios wieder ins Parlament geschafft haben, eine ÖVP-Grün-Regierung zu bilden?

Rauch-Kallat: Sebastian Kurz braucht keinen Tipp von mir, der kann das. Aber beiden Seiten – der ÖVP und vor allem den Grünen – rate ich, sich nicht von der Zeit drängen zu lassen. Wolfgang Schüssel hat 2003 mehrfach angeboten, noch eine Woche weiterzuverhandeln, aber das wurde leider von Peter Pilz abgelehnt.

STANDARD: Peter Pilz war also schuld, dass Schwarz-Grün 2003 gescheitert ist?

Rauch-Kallat: Ja, Peter Pilz hat gesagt, die Grünen haben Bundeskongress. Alexander Van der Bellen, Eva Glawischnig und Madeleine Petrovic waren für die Koalition. Wir sind um fünf Uhr in der Früh raus, haben um sechs Uhr die ersten Interviews gegeben, und wir haben uns damals nicht befetzt. Gerade, dass wir nicht gemeinsam geweint haben. Natürlich gab es keine Sicherheit, dass wir mit einer Woche mehr handelseins geworden wären. Aber Peter Pilz hat's an den Eurofightern aufgehängt.

STANDARD: Sind die Ausgangsvoraussetzungen zwischen ÖVP und Grünen jetzt, fast 16 Jahre später, besser oder schlechter?

Rauch-Kallat: Es sind andere Personen und andere Parteien. Bei den Grünen ist es noch schwer zu sagen, aber die ÖVP ist mit Sicherheit eine andere Partei als damals.

STANDARD: Ist die ÖVP heute grüner? Den Eindruck erweckt sie ja nicht unbedingt.

Rauch-Kallat: Das weiß ich noch nicht. Unter Erhard Busek war sie eine extrem grüne Partei. Busek war ein Grüner, bevor es die Grünen gab. Und es war die Zeit, in der ich zur ÖVP gestoßen bin. Und die Volkspartei hat ja auch mit Marilies Flemming, Ruth Feldgrill-Zankel und mir die Umweltministerinnen gestellt. In den vergangenen Jahren haben natürlich andere Themen überwogen. Aber die Grünen haben die Klimawelle sehr erfolgreich nach Hause gebracht, und dazu ist ihnen auch zu gratulieren. Das ist ja unbestritten wichtig. Es ist höchste Zeit, dass da etwas passiert. Und niemand in der ÖVP leugnet ja den Klimawandel.

STANDARD: Dennoch heißt es, dass die inhaltliche Schnittmenge zwischen ÖVP und Grünen laut wahlkabine.at bei nur 20 Prozent liegt.

Rauch-Kallat: Das ist sicher richtig.

STANDARD: Aber genügt das, um ein Regierungsprogramm zu schnüren?

Rauch-Kallat: Das werden die Gespräche zeigen. Das kann nur in sehr langen Gesprächen gelingen. Jede Seite muss ihrer Klientel Ergebnisse liefern, aber sie muss sich auch umgekehrt so weit bewegen, dass eine Zusammenarbeit möglich wird.

STANDARD: Welche Werte teilt denn die neue Volkspartei mit den Grünen?

Rauch-Kallat: Na ja, schon die Notwendigkeit des Umweltschutzes. Da ist viel Basis da. Österreich ist ja nicht das Umweltsünderland Nummer eins, aber auch nicht mehr Nummer eins im Ökologiebereich. Wir haben aber mit der ökosozialen Marktwirtschaft von Josef Riegler etwas, das 1989 eigentlich um Jahre zu früh kam, um verstanden zu werden. Zehn Jahre später haben die Leute verstanden, was damit gemeint ist, dass es ein Erfolgsmodell ist.

STANDARD: Sebastian Kurz hat drei Koalitionsvarianten zur Auswahl – wenn Sie sie nach Wahrscheinlichkeit, nicht nach persönlicher Sympathie reihen müssten, wie sähe die Reihenfolge zwischen SPÖ, FPÖ und Grünen aus?

Rauch-Kallat: Das kann ich nicht sagen. Niemand kann das heute sagen, weil wir nicht wissen, was in der SPÖ und in der FPÖ jetzt nach der Wahl passieren wird. Ich weiß nur, was in der ÖVP passiert: große Freude und Bestärkung des Kurses von Sebastian Kurz. Wir haben in der ÖVP einen wirklichen und erfolgreichen Generationswechsel hinter uns. Ich hätte vor zweieinhalb Jahren nicht gedacht, dass die Partei seine Forderungen akzeptieren würde. Ich weiß nicht, ob es nicht wieder retour gegangen wäre, wenn er jetzt nicht gewonnen hätte. Aber so kann man sagen: Die Erneuerung der ÖVP ist wirklich geschafft. Wir sehen das im Regierungsteam, in den Gremien, aber auch in den Bundesländern.

STANDARD: Wie viele Anhängerinnen und Anhänger der ÖVP wollen aus Ihrer Sicht noch einmal Türkis-Blau?

Rauch-Kallat: Es hat immer – auch 2000 – nur ein Drittel der ÖVP-Wählerschaft die ÖVP-FPÖ-Koalition gewollt. Das war nach der Wahl 2000 eine extrem schwierige Situation, weil zwei Drittel unserer Wählerinnen und Wähler gegen jede Lösung waren.

STANDARD: Können Sie sich eine Neuauflage von Türkis-Blau vorstellen, oder hat diese Koalition gezeigt, dass sie einfach nicht funktioniert?

Rauch-Kallat: Ich kann mir das im Moment eher schwer vorstellen.

STANDARD: Und eine Rückkehr zum alten, langjährigen Koalitionspartner SPÖ?

Rauch-Kallat: Ist genauso schwer vorstellbar. Es ist schwierig zu sagen, weil es wirklich sehr davon abhängen wird, was bei den Roten, aber auch in der FPÖ passiert. Auch die Grünen müssen übrigens erst wieder Strukturen aufbauen – und sie haben sicher kein Regierungsprogramm erarbeitet, sondern ein Wahlprogramm.

STANDARD: Aus Ihrer persönlichen Koalitionspräferenz machen sie kein Geheimnis, oder, wenn man Ihre "Kleidercodes" am Wahlabend dechiffriert – schwarzes Shirt und grüner Blazer waren ja quasi ein Statement.

Rauch-Kallat: (lacht) Ja, sicher ist Schwarz-Grün meine Wunschkoalition. Das wird zwar extrem schwierig, aber ich halte es trotzdem für ein interessantes und hoffnungsvolles Projekt. (Lisa Nimmervoll, 30.9.2019)