Camilla Nylund, intensiv und emotional.

Foto: Michael Pöhn

Normalerweise geht das in der Oper so: Sagt eine prominente Sängerin ab, springt eine weniger bekannte ein. Die Wiener Staatsoper kann das auch umgekehrt. Im Mai 2016 etwa war man als Besucher der Oper Lohengrin hocherfreut, als überraschend Klaus Florian Vogt (statt Burkhard Fritz) den Schwanenritter gab. Besser, sprich zarter, reiner, hellstimmiger geht’s nicht.

Als Aušrinė Stundytė erkrankte, zauberte man im Haus am Ring keine Geringere als Camilla Nylund als Salome-Ersatz herbei. Die Finnin probt gerade vor Ort die Jubiläumsoper Die Frau ohne Schatten. Ganz offensichtlich war der Weltklassesopranistin nach einem spontanen, extremen Rollenwechsel im Strauss-Fach: von der rücksichtsvollen Kaiserin zur rücksichtslosen Prinzessin.

Edel-weiche Kantilenen

Das Publikum dankte es der Künstlerin, die neben einem intensiven emotionalen Engagement auch ihre Souveränität in der Formung tragfähiger und doch edel-weicher Kantilenen unter Beweis stellte. Das Staatsopernorchester legte gegenüber Nylund und Co hingegen eine gewisse Undankbarkeit an den Aufführungsabend, war es doch über weite Strecken des Musikdramas hauptsächlich mit der Demonstration der eigenen Klangpotenz beschäftigt.

Den Sängern blieb in diesem leidenschaftlichen instrumentalen Pandämonium der Gefühle meist nur die Statistenrolle als vokales Hintergrundgeräusch. Dennis Russell Davies war zwar ein kundiger Steuermann durch die Stromschnellen der Partitur, ließ das Orchester-Schiff aber allzu oft unter vollen Fortissimo-Segeln fahren.

Und so hörte man Alan Helds mächtigen Bariton (als Jochanaan) und Jörg Schneiders präzis-hellen Tenor (als Herodes) wie auch den seines Stimmlagekollegen Lukhanyo Moyake (als Narraboth) nur dann und wann. Linda Watson schmetterte ihre Spitzentöne in die tosende Ton-See und gab die Herodias ansonsten mit der souveränen, raumgreifenden Theatralik einer Olivia Jones. Jubel. (Stefan Ender, 30.9.2019)