Im Gastkommentar erläutert Wissenschafter David M. Wineroither, die Koalitionsmöglichkeiten des "Mannes aus der politischen Mitte des Landes".

Ein spannender Wahlausgang mit eindeutigen Siegern (ÖVP und Grüne), krachenden Verlierern (SPÖ, FPÖ und Jetzt) und einem einzigen relativen Gewinner (Neos). Welche Lehren sind aus dem Ergebnis zu ziehen? Welche Koalitionsvarianten sind umsetzungsfähig? Vor allem aber: Was ist von der noch einmal gestärkten Kanzlerpartei und ihrem Obmann zu erwarten?

Einmal mehr blieb eine Mehrheit der Parteien rechts der Mitte erhalten: Die Kleinen verspüren Aufwind, ohne die höhere Links-rechts-Arithmetik entscheidend zu beeinflussen. Das Abschneiden von Neos: ein Achtungserfolg im ideologischen Zentrum, der zum Status als Reservepartner im Koalitionsbildungsspiel gereicht. Das grüne Jo-Jo: der Themenkonjunktur und innerparteilichen Frontbegradigung geschuldet, aber auch eine Übertreibung (2019 wie 2017).

Steht Sebastian Kurz der Sinn nach einer Koalition mit den Grünen?
Foto: Heribert CORN

Die SPÖ von heute ist, was inneren Zusammenhalt betrifft, die ÖVP von gestern. Die Treueschwüre der Landesgranden? Bequem und mitunter vergiftet – es lebt und kritisiert sich besser in der Etappe, ganz so, wie früher höchst populäre ÖVP-Landeschefs den Elchtest Bundespolitik gescheut hatten wie der Teufel das Weihwasser. Der SP-Parteivorsitz: doch irgendwie Schleudersitz. Uraltstil, der einer authentischen Quereinsteigerin als Mühlstein umgehängt wurde.

Der deutliche Abfall der FPÖ gegen Ende hin? Er war weniger dem Stakkato an Korruptionsvorwürfen als ihrem Auswachsen zu einer veritablen Führungskrise geschuldet. Den Freiheitlichen ging es immer gut bis fabelhaft unter einer unumstrittenen Galionsfigur, andernfalls bescheiden bis miserabel. Bereits die arbeitsteilende Methode mit dem Good Cop Norbert Hofer und dem Bad Cop Herbert Kickl war heikel und jedenfalls ohne Aussicht gewesen, zur Dauerlösung zu mutieren.

Politisches Jahrhunderttalent

War es "ein Kanzlersieg" (Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner)? Der Obmann stand im Mittelpunkt der Wahlbewegung und "zog" beim Wähler. Ein persönlich gewendetes Politikmandat erwuchs daraus nicht – ein solches hatte Kurz auch nicht angestrebt. Politisches Jahrhunderttalent hin oder her – der alte und vermutlich neue Kanzler ist in der Parteiräson verhaftet, muss weder Rang noch Stellung innerhalb der Volkspartei austesten. Das Votum vom Sonntag? Eines maßgeblich zur Fortsetzung des Regierungskurses!

More of the same? Verglichen mit Wolfgang Schüssel fällt Kurz deutlich hinter den Hüter der reinen Reform- und Budgetlehre zurück. Gewiss, die Zusammenlegung der SV-Träger wurde unternommen und tief hinein ins Fleisch des Arbeitsrechts operiert; wurden punktuell harsche Finanzierungseinschnitte gesetzt; darüber hinaus ließ man die traditionell schwierigen Brocken links liegen: Bundesstaatsreform oder Bürokratieabbau durch Politikentflechtung, Kammerwesen, Pensionen. Oder auch: Bildungspolitik, Gesundheitswesen und Pflege, Stärkung direkter Demokratie – überall dort wurde wesentlich weniger angegangen als im Migrationsbereich. Eine Zeitfrage? Nicht nur.

Baustelle FPÖ

Wer mit wem? Die FPÖ wäre für Kurz aus strategischen wie inhaltlichen Gründen Ansprechpartner Nummer eins. Die Voraussetzung dafür: Die Führungsfrage muss rasch und zugunsten Hofers entschieden werden. Eine doppelte Baustelle: Altobmann Heinz-Christian Strache verspürt wenig Lust, im eigens geschaffenen Dickicht an Malversationen abzutauchen. Und am rechten Flügel wirft sich Kickl mit Feuereifer in jede Schlacht. Der Ex-Innenminister hat bereits klargemacht, seinen Part einer Doppelspitze beibehalten zu wollen, währenddessen das Haus Strache um parlamentarische Vertretung bangt. Der Strudel der jüngsten Ereignisse lässt selbst bei begrenzter Fantasie allerlei Worst-Case-Szenarien offen (Wien-Wahl!) – und das Risiko, sich vor einem nunmehr instabilen Partner ein drittes Mal binnen Legislaturperiodenfrist (vor einigen Jahren von Scherzbolden auf fünf Jahre verlängert) in Neuwahlen zu flüchten, wird sich Kurz nicht antun.

Dann doch hierzulande exotisch anmutende Varianten wie Minderheitsregierung oder Einpreisen fliegender Koalitionswechsel, welche sich die jeweils umgarnte Braut einiges wird kosten lassen? Unwahrscheinlich, sofern sich die FPÖ gekonnt selbst aus dem Spiel nimmt (Oppositionsansage, innerparteiliche Krise): Die Optionen Wiederauflage einer großen Koalition oder Grün-Experiment liegen auf dem Tisch. Beides möglich, aber Stand heute kaum prognostizierbar: Sein beharrlich aufgebautes Image als Gottseibeiuns von Stillstandsverwahrern würde Kurz als Kanzler einer großen Koalition unweigerlich und unmittelbar ramponieren. Trotz der Treueschwüre in Richtung Pamela Rendi-Wagner gilt es auch innerhalb der SPÖ die Führungsfrage und inhaltliche Positionierung zu klären. Sie ist ihrem Selbstverständnis nach immer noch Regierungspartei: Die Oppositionsperspektive hält für sie die Herausforderung einer Sinnstiftung und Orientierungsfindung bereit, während sie für den Freiheitlichen eine Revitalisierungsbank abgibt.

Grünes Experiment

Ein Zusammengehen mit den Grünen – ein Experiment. Aber steht Kurz der Sinn gerade danach? Lustvoll unorthodox erlebte man allenfalls Schüssel oder später Josef Pröll und Reinhold Mitterlehner – nicht aber den Jüngsten, dem die Rolle als Elder Statesman als Mittzwanziger auf den Leib geschneidert war, jene davor als "Geilomobilist" ihm hingegen hartnäckig zusetze.

Der Altkanzler habe gewonnen, weil er allen alles versprochen hatte, unkt eine Wunden leckende FPÖ. Vor allem anderen setzte Kurz auf Kontinuität. Die Parteireform war eher eine Mogelpackung gewesen; jene im Staate und der Demokratie unterblieb in heiklen Bereichen. Das Gros der alten und neuen Kurz-Wähler wünschte sich Kontinuität – und darf sich Konsolidierung erwarten. Der triumphale Wahlsieger entpuppt sich als das, was er immer gewesen ist: ein authentischer, ab und an bieder wirkender, falls nötig strammer Konservativer. Hausmannskost statt Fusionsküche. Ein Mann aus der politischen Mitte des Landes. (David M. Wineroither, 1.10.2019)