Simone Young über das Staatsopernorchester: "Wer vor so einem Toporchester steht, muss etwas zu sagen haben."

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Simone Young hat eine innige Beziehung zu Benjamin Britten. Einst habe sie "davon geträumt, bei ihm Komposition zu studieren. Aber er ist zu früh gestorben", sagt Young, die an der Staatsoper dessen Midsummer Night's Dream dirigiert. Sie kennt die Oper seit 1983 gut. Damals hat sie das Werk noch als Korrepetitorin an der Oper von Sydney in langen Sitzungen betreut.

STANDARD: Sie dirigieren schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert an der Wiener Staatsoper. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Debüt 1993 mit "La Bohème"?

Young: Oh Gott! Meine Eltern sind damals extra aus Australien angereist. Meine Mimì war eine unbekannte Sopranistin namens Angela Gheorghiu. Es gab keine Orchesterprobe, ich habe darum gebeten, mit dem Konzertmeister, Herrn Küchl, zu sprechen. Wir haben kurz über die Oper geredet, und dann hat er gesagt: "Sie kennen das Stück, und wir kennen das Stück, das wird schon schön werden." Es war für mich, abgesehen von der Staatskapelle Berlin, das erste Mal, dass ich so ein Luxusorchester dirigiert habe. Und plötzlich dieser unglaubliche Klang! In der Pause hat es draußen zu schneien begonnen. Als es danach im zweiten Akt auf der Bühne geschneit hat, fing das Publikum an zu applaudieren und zu lachen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das hat mich etwas gestresst!

STANDARD: Hat sich das Staatsopernorchester in den letzten Jahren verändert?

Young: Es ist jünger geworden, internationaler, und es sind mehr Frauen da. Vielleicht war das Orchester damals noch geprägt von Persönlichkeiten wie Böhm und Karajan. Grundsätzlich verlangt das Orchester viel von einem Dirigenten – aber zu Recht! Wer vor so einem Toporchester steht, muss auch etwas zu sagen haben.

STANDARD: Sie waren lange Intendantin und Musikdirektorin in Hamburg. Warum haben Sie sich diese Doppelbelastung angetan?

Young: Spielpläne, Besetzungen zusammenstellen, die künstlerische Arbeit mit den Regieteams, Konzepte besprechen: Das macht Spaß. Im deutschen Opernsystem ist der Dirigent oft der Letzte, der gefragt wird. Meistens wählt der Intendant einen Regisseur aus, der sich einen bestimmten Dirigenten wünscht. Ich wollte für mich eine Zeitlang selbst bestimmen können, was ich dirigiere. Aber der Preis für diese Doppelbelastung war hoch: Ich habe meistens 14 Stunden pro Tag gearbeitet, oft sieben Tage die Woche.

STANDARD: An der Staatsoper kennt man Brittens "Peter Grimes" und "Billy Budd": düstere Tragödienkost. Ist der "Midsummer Night's Dream" dazu sein heiterer Kontrapunkt?

Young: Ja. Die Oper ist ganz anders, ein kammermusikalisch orchestriertes Bühnenwerk – vielleicht sein bestes. Wie bei Strauss' Ariadne auf Naxos stehen bestimmte Instrumentengruppen für bestimmte Figuren. Die Feenwelt: Glockenspiel, Cembalo, zwei Harfen, Streicher, Countertenor, Koloratursopran und Knabenstimmen. Alles ist hell, sehr hell. Bei den Liebespaaren ist die Musik traditioneller orchestriert, lyrischer, opernhafter: ein bisschen à la Puccini. Bei den Handwerkern haben wiederum Soloposaune und Solofagott Virtuoses zu leisten. Man hört Brittens Affinität zu Schostakowitsch und seiner Ironie. Das Ganze macht viel Spaß, aber es ist sehr schwer vorzubereiten, da ist viel Detailarbeit nötig.

STANDARD: Wie schaut diese Vorbereitung konkret aus?

Young: Ich habe mit dem Staatsopernorchester besprochen, dass ich mit den Streichern und den Bläsern getrennte Leseproben mache. Das ist vernünftiger. Es ist für das Orchester natürlich eine Musiksprache, die nicht alltäglich ist.

STANDARD: Wann hat das Orchester die Oper zuletzt gespielt?

Young: 1962!

STANDARD: Da werden nicht mehr viele Musiker da sein, die sich daran erinnern können.

Young: Ich denke nicht!

STANDARD: Sind die Partien in der Oper schwer zu besetzen?

Young: Oberon und Titania sind virtuose Partien. Der Bottom auch, den singt hier Peter Rose, er ist großartig. Den Flute, der für Peter Pears geschrieben wurde, singt Benjamin Hulett, er ist ein klassischer britischer Tenor. Die anderen Figuren sind schwer zu besetzen, weil man nicht nur die richtigen Stimmen, sondern auch die richtigen Körpertypen finden muss. Die Helena muss eine lange Bohnenstange sein, die Hermia muss klein und süß sein. Das ist vom Libretto vorgegeben, da kommt man nicht drum herum! Und da haben wir mit Rachel Frenkel und Valentina Naforni?a eine ideale Besetzung gefunden.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass Sie Ihre Sturköpfigkeit Ihren irischen Wurzeln zuschreiben und Ihre zupackende Art der kroatisch-australischen Abstammung. Gibt es auch eine Seite abseits des Handfesten an Ihnen?

Young: Ja! Ich lese gern Gedichte, liebe den Genuss, gute Weine, gutes Essen, eine schöne Umgebung. Ich liebe es, einen Abend mit Freunden oder der Familie zu verbringen, ohne ein Wort über Musik zu reden. Ich habe auch kein Problem damit, mich an einem italienischen Strand mit einem Cocktail in der Hand auf einer Liege auszustrecken, in den blauen Himmel zu schauen und danach ins Meer zu hüpfen.

(Stefan Ender, 1. 10. 2019)