Toni Collette und Merritt Wever.
Foto: Netflix Screenshot

Scheinbar teilnahmslos sitzt Marie auf einer Krankenhausliege und lässt verschiedene Untersuchungen über sich ergehen: Eine Speichelprobe wird entnommen, die Gynäkologin macht einen Abstrich und zapft Blut ab, dazwischen muss die 18-Jährige immer wieder von der stundenlangen Vergewaltigung erzählen, die sie gerade erlebt hat. Mit einem Antibiotikum und der "Pille danach" in der Tasche wird Marie – sichtlich erschöpft – erneut durch den ermittelnden Beamten befragt.

Schon in der ersten Folge der Netflix-Miniserie, die auf einem wahren Kriminalfall in den US-Bundesstaaten Washington und Colorado beruht, macht "Unbelievable" deutlich, woran es im System krankt: Marie (Kaitlyn Dever), die in einem Wohnprojekt für Jugendliche lebt und ihre Kindheit in Heimen und bei Pflegeeltern verbracht hat, fehlt es nicht nur an Rückhalt, sondern in den Augen der Polizisten auch an Glaubwürdigkeit. Schleichend wird die junge Frau geradezu dazu gedrängt, die Schilderung ihrer Vergewaltigung durch einen unbekannten Eindringling zur Lügengeschichte zu erklären.

Harter Kontrast

Wenige Jahre später ist auch Detective Karen Duvall (großartig: Merritt Wever) einem Vergewaltiger auf der Spur. Bei der Einvernahme der jungen Studentin Amber demonstriert sie reichlich Fingerspitzengefühl und erklärt jeden Schritt ihrer Arbeit, unmissverständlich wird klar: Wie Amber mit der erlebten Gewalt umgeht, ist allein ihre Sache. Im Rahmen der frustrierenden Ermittlungsarbeit erhält Duvall Rückendeckung von der erfahrenen Kommissarin Grace Rasmussen (Toni Collette) – ein Frauengespann, das auch gegen die patriarchale Ignoranz im eigenen Arbeitsumfeld zu kämpfen hat.

Die Darstellung der beiden Kommissarinnen ist es auch, was "Unbelievable" so herausragend macht: Um den ermittlerischen Ehrgeiz der Protagonistinnen zu erklären, greifen die MacherInnen nicht – wie das in Hollywood so oft passiert – auf die Erzählung eigener Gewalterfahrungen zurück, und auch die gelebte Frauensolidarität bedarf keiner pädagogisch anmutenden Vermittlungsarbeit.

Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

Zwei Kommissarinnen, die Konflikte hart, aber respektvoll austragen und ausnahmslos empathisch im Umgang mit Gewaltopfern agieren – ganz selbstverständlich. Im Gegensatz zu den allermeisten True-Crime-Formaten interessiert sich "Unbelievable" auch nur am Rande für den Täter und erspart den SeherInnen so einen voyeuristischen Blick auf seelische Abgründe. "Die feministischste Krimiserie", urteilte das US-Magazin "Vulture" – zu Recht. (Brigitte Theißl, 1.10.2019)