Sebastian Kurz genießt seinen Wahlsieg, und die ÖVP tut es hingebungsvoll mit ihm. Es ist nicht nur ein Sieg, es ist eine abgrundtiefe Genugtuung: Es ist die Wiederauferstehung nach der Abwahl im Parlament. Kurz und seine Anhänger werden nicht müde, darauf hinzuweisen: Jene, die ihn abgewählt hatten, wurden von den Wählern abgestraft. Darauf war der Wahlkampf ausgerichtet: die Erlösung aus der Opferrolle.

Kurz und seine Anhänger suhlen sich in dieser Genugtuung. Noch am Wahlabend nutzte der ÖVP-Chef die Gelegenheit, seine Gegner zurechtzuweisen. Er beklagte sich in den TV-Runden über die Angriffe im Wahlkampf. Dabei richtete er seinen Blick vorwurfsvoll auf SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Als erwarte er sich eine Entschuldigung, ehe über Koalitionen geredet werden könne.

Nun, der Wahlkampf ist vorbei, an Untergriffen und Angriffen hat es nicht gemangelt. Dass man sich im Nachhinein für die Ausfallschritte im Eifer des Wahlgefechts entschuldigen müsste, wäre neu, aber warum nicht? Wir können alle an unseren Manieren arbeiten. Kurz selbst hatte sich wegen ungerechtfertigter Vorwürfe gegen die SPÖ eine einstweilige Verfügung eingehandelt. Eine gruppentherapeutische Entschuldigungsrunde könnte also für alle Balsam sein.

Sebastian Kurz genießt seinen Wahlsieg.
Foto: Heribert CORN

Tatsache ist, dass Kurz lange auf eine Entschuldigung warten wird. Sie wird nicht kommen. Wenn er das zur Bedingung einer Koalitionsverhandlung machen würde, wäre diese schon beendet, ehe sie begonnen hat. Kurz ist zwar in der Tat der Wahlsieger, er ist auch ein strahlender Wahlsieger, aber die Optionen sind gar nicht so rosig, wie es das Ergebnis nahelegen würde: Es gibt keinen Partner, der sich aufdrängt. Willig und billig, das spielt's nicht. Es wird Kraft kosten, einen Koalitionspartner zu finden, und das wird die ÖVP auch einiges an Entgegenkommen kosten.

Demut vor allen Wählern

Eine Mitte-rechts-Regierung, wie Kurz sich das gewünscht hat, kann er sich mit SPÖ und Grünen abschminken. Auch die Neos dürften eine andere Vorstellung von Mitte-rechts haben. Bliebe die FPÖ. Die will nicht. Und sie ist in einem Zustand, in dem sie auch nicht kann. Die Freiheitlichen müssen sich neu aufstellen und regenerieren. Sie wissen aus Erfahrung, dass dies am besten in der Oppositionsrolle gelingt.

Wenn Kurz von Mitte-rechts abweicht, könnte er auch mit der SPÖ und den Grünen reden. Die SPÖ will das derzeit aber gar nicht. Große Teile der Sozialdemokraten sind gegen den demütigenden Gang in eine Koalition unter Kanzler Kurz. Rendi-Wagner würde sich der Gefahr einer parteiinternen Revolte aussetzen, wenn sie nicht genügend für die SPÖ herausholt. Für Kurz hieße das, er müsste der SPÖ so weit entgegenkommen, wie er es aus Überzeugung gar nicht vertreten kann.

DER STANDARD war bei der ÖVP-Wahlparty vor Ort und fragte Unterstützer und Politiker, warum sie Sebastian Kurz ihre Stimme gegeben haben und wie es nun weitergeht.
DER STANDARD

Mit den Grünen wird es nicht viel einfacher. Sie wollen zwar in die Regierung, haben aus ihrem Wahlsieg aber genügend Selbstvertrauen getankt, um Forderungen zu stellen, die Kurz die Tränen in die Augen treiben werden. Angesichts der vielen freiheitlichen Wähler, die Kurz hinter sich geparkt hat, wird es ihm schwerfallen, den Grünen inhaltlich allzu weit entgegenzukommen.

So gut der Wahlsieg schmecken mag, es wird auch für Kurz schmerzhaft werden, diesen in eine tragfähige Koalition umzusetzen. Da wird es noch ein bisschen Demut brauchen – nicht nur vor den eigenen, sondern vor allen Wählern. (Michael Völker, 30.9.2019)