Er ist klein und rundlich, bunt wie aus einem Kindermalbuch, und wenn er zwischen SUVs steht, möchte man ihn am liebsten beschützen. Zunächst war er eine Rarität, doch mittlerweile ist er auf unseren Straßen immer häufiger zu sehen: der "neue" Fiat 500, geboren 2007, "still going strong", sogar mehr denn je. 2018 war das bisher beste Jahr für das Modell inklusive (auf anderer technischer Basis stehender) Langversion, da rollte im polnischen Tychy der zweimillionste Wagen vom Band. Fast 5000 haben die Österreicher in den ersten acht Monaten dieses Jahres gekauft (zum Vergleich: knapp 7000 den VW Golf), in Deutschland haben sie sich bei über 30.000 pro Jahr eingependelt. Kein Zweifel, mit dem 500er ist dem ansonsten nicht gerade von Erfolg verwöhnten Turiner Unternehmen etwas Besonderes gelungen.

Diese Chromspange, haben Sie die? Eine Andeutung von Stoßstange wie am Ur-500 auch.
Foto: Fiat

Klein sind andere Autos auch, vor allem die Franzosen am unteren Ende der Modellpalette, und die mit ihnen blutsverwandten Japaner, man denke an das Trio Toyota Aygo / Peugeot 108 / Citroën C1. Auch deutsche Kleinwagen wie der Ford Ka oder der Opel Adam – beide inzwischen nicht mehr im Programm – zählen dazu. Im Hause Fiat selbst steht zudem noch der Panda. In der Fire-70-Motorversion hat er dieselbe Technik wie der 500 und ist dabei, wie die Auto Revue feststellt, praktischer und günstiger und geräumiger außerdem.

Aber der kleinere Bruder hat ihm etwas Entscheidendes voraus: die DNA seiner Vorfahren, und er hat sie überzeugend in die Gegenwart übersetzt. Für jüngere Semester – sagen wir: im ersten Studienabschnitt, mit wohlhabenden Eltern – ist er ein flottes Gefährt, mit dem man von der Uni zum Eissalon gelangt; bei älteren ruft er die Erinnerung an den Stolz der sich damals massenmotorisierenden Italiener wach: an die "Nuova cinquecento" (in Italien sind Autos natürlich weiblich).

Der 500er aus 1957.
Foto: Fiat

Ich weiß, wovon ich rede, ich habe in den Sechzigerjahren mit meinen Eltern in Mailand gelebt. Damals waren rund zwei Drittel der Autos in Italien von Fiat, und fast zwei Drittel der Fiat-Autos waren 500er oder 600er – also die Hälfte aller Wagen überhaupt. Die leicht O-beinigen, oft beigefarbenen Modelle waren allgegenwärtig, sie waren das Gegenstück zum VW Käfer bei uns: der fahrbare Untersatz der Nachkriegsgeneration. 1957 kam der oder die Cinquecento auf den Markt, "nuova" deswegen, weil das Auto den Topolino – Mäuschen oder Micky Maus – genannten Vorgänger ablöste. Weniger Auto ging kaum, nicht einmal einen Kühlergrill hatte es, weil der Motor hinten lag.

Uns war es damals noch nicht klar, aber der kleine Fiat, gar in der Cabrioversion mit mehr von uns Ragazzi an Bord als erlaubt, sollte einmal zum Inbegriff italienischen Lebensgefühls werden, zusammen wohl mit der Vespa (auch so ein Geniestreich, die Vorstufe zur vierrädrigen Fortbewegung) und der Bialetti Moka Express: das Dreigestirn der Italianità für alle Nostalgiker jenseits der Alpen.

Auch vom neuen 500er gibt es eine Cabrioversion.
Foto: Fiat

An dieses Gefühl hat das Centro Stile in Turin angeknüpft, als es sich in den Nullerjahren an die Wiederbelebung des 500ers machte. Retro war sowieso in. VW hatte den Käfer als New Beetle wiederauferstehen lassen; der Buckel ist geblieben, aber im Grunde war er hauptsächlich ein Fun-Car für die Westküste. Der Mini hatte von BMW neue Kleider bekommen und macht seither seinem Namen immer weniger Ehre. Als Countryman ist er inzwischen länger als der Golf, und der hat über die Jahre fast 60 cm zugenommen. Auch der (nicht mehr "nuova" genannte) neue Fiat ist größer und länger geworden, so klein wie damals kann man heute wegen der Vorschriften einen Viersitzer gar nicht mehr bauen. Der Motor hat mindestens 875 cm³ und keine rührenden 13,5 PS, sondern 69 und mehr, weil sich das Auto nicht mehr nur in den Gassen von Arezzo, sondern auch auf der Autobahn nach Rom bewähren soll.

Kindchenschema

Aber die DNA ist geblieben. Noch immer sehen die Vorderleuchten, weit auseinanderstehend, wie Kulleraugen aus: Kindchenschema als Designfaktor. Der Kühlergrill ist unter die Andeutung einer Stoßstange versetzt worden und daher fast, wie ehedem, nicht vorhanden. Die Rückleuchten, die an immer mehr Autos aussehen wie die Flügel eines aufgeschreckten Drachens, sind hier bescheiden gebliebene Vierecke. Das alles soll an den mehr als 60 Jahre alten Vorgänger erinnern. Weniger kann mehr sein.

Fiat 500 haben gerne auffallende Farben.
Foto: Fiat

Andererseits ist mehr manchmal besser. Die Farben der meisten Autos sind heutzutage 50 Schattierungen von Dunkelgrau. Und dann fährt ein Fiat 500 vorbei, und er ist hellgrün oder himmelblau wie Daisy von Lilien-Porzellan oder zartrosa wie Nierentischchen. Wenn schon beige, dann bitte, ich zitiere den Katalog, Cappuccino oder Cipria oder Perla Esploratore. Und nicht einfach rot, sondern Rosso Amore, Rosso Corsa, Rosso Maranello Passionale oder Corallo. Von "bicolore" oder etwa blau-weiß gestreiftem Fetzendachl ("dolcevita") gar nicht zu reden. So kommen die buntesten Konfigurationen zustande, ein Füllhorn an Italianità. Viva la cinquecento!

Dass sich an ein Auto, das zum Kult wird, die Sondereditionen dranhängen, ist klar. Ich erwähne nur die von Gucci (grün-rote Streifen, was sonst?), Diesel, Cappellini, Barbie/Mattel oder die Wahnsinnsvarianten von Abarth (bis zu 225 km/h; vorzüglich in Giftgelb oder Rabenschwarz; der Firmen-Skorpion prangt acht Mal auf dem Auto, damit man's nur ja weiß). Mit Riva, dem italienischen Produzenten eleganter Motorboote, brachte Fiat ein Sondermodell heraus, "die kleinste Yacht der Welt". Man erkennt es unter anderem daran, dass es ein besonderes Armaturenbrettchen hat: aus Mahagoni ...

Ein Bild vom 500er geht noch...
Foto: Fiat

Noch Fragen? Ja, zum Beispiel, warum es die vollelektrische Variante 500e für den amerikanischen Markt (immerhin 140 Kilometer Reichweite, genug für den Speckgürtel; 32.650 Dollar) nicht auch bei uns gibt. Und, die grundsätzlichere Frage, wie lange es die kleinen feinen Autos, die nicht nur in der City flitzen, noch geben wird. Die Umweltauflagen, so sagt man, machen es diesem preissensiblen Marktsegment immer schwerer. Die SUV-Panzer werden womöglich siegen. Uns bleibt dann nur noch die Erinnerung an die guten alten Zehnerjahre. (Michael Freund, 10.10.2019)