Die Freude und der Zorn: Die Barbesitzerin und Sängerin Judy Hill ist das emotionale Zentrum von Roberto Minervinis "What You Gonna Do When the World's On Fire?".

Foto: Stadtkino

Im Treme-Viertel von New Orleans beginnen die Vorbereitungen für Mardi Gras. Kostüme werden genäht, Perlen angestickt, buschige Federn appliziert. Im kontrastreichen Schwarz-Weiß des Films strahlen sie in einem gleißenden Weiß, das fast schon in den Augen brennt. What You Gonna Do When the World's On Fire? hat einen festlichen Rahmen, aber im Inneren lodern Angst, Wut und Schmerz.

Eine Serie von rassistischen Gewalttaten hat den Süden erschüttert. Nachdem im Juli 2016 der Schwarze Alton Sterling in Baton Rouge von weißen Polizisten erschossen worden ist, liegt rund ein Jahr später in Jackson County, Mississippi, ein abgetrennter Kopf auf einer Veranda. Die Zeichen sprechen für ein Verbrechen des Ku-Klux-Klan, doch die Polizei gibt sich mit der üblichen Erzählung – Gang-Gewalt – zufrieden.

Das schwarze Amerika

Der aus Italien zugewanderte Dokumentarist Roberto Minervini macht Filme von erschütternder Nähe. Er lebt und filmt in jenen ländlichen Regionen des Südens, in die es auch das randständige US-amerikanische Kino nur selten verschlägt: Texas, Louisiana, Mississippi. Bisher galt sein Blick ausschließlich der "anderen Seite" – so der Titel seines vielleicht beunruhigendsten Films –, also jenen verarmten, weißen Milieus, in denen auch rechtsradikale Extremisten einen geeigneten Boden für ihren Hass finden.

In What You Gonna Do When the World's On Fire? (2018) – der Titel ist einem Spiritual des Bluessängers Leadbelly entlehnt – begibt sich Minervini erstmals auf die andere Seite dieser anderen Seite: das schwarze Amerika. Sein Film ist aber auch in anderer Hinsicht ein Debüt. Während die bisherigen Arbeiten alle in den Obama-Jahren entstanden – was ihnen rückblickend etwas Hellsichtiges verleiht –, ist der aktuelle der erste Film in einem politischen Klima, in dem sich weiße Suprematisten von oberster Stelle gestützt wissen.

Aufklärung und Missbrauch

What You Gonna Do When the World's On Fire? wurde auf der letzten Viennale mit dem Preis der STANDARD-Leserjury prämiert. Der Film verwebt mehrere Erzählungen aus dem Alltag der afroamerikanischen Community. Eine Gruppe der New Black Panthers debattiert über Reparationszahlungen für den "Holocaust" der Sklaverei, verteilt Essenspakete und führt von Tür zu Tür ziehend Ermittlungen im Fall des gelynchten Mannes durch.

Die Barbesitzerin und Sängerin Judy Hill, emotionales Zentrum des Films, blickt auf eine schmerzvolle Vergangenheit zurück, die von Sucht und Missbrauch gekennzeichnet ist. Vor einer Gruppe von Barbesuchern redet sie sich in Verzweiflung und Zorn über die Weitervererbung der Angst – und spricht damit genau das aus, was auch der Autor Ta-Nehisi Coates in seinem Buch Zwischen mir und der Welt beschreibt: dass Rassismus eine viszerale Erfahrung ist, die tief in den Eingeweiden sitzt.

Die Last der Verantwortung

Lichter und luftiger sind die Szenen zwischen dem Teenager Ronaldo und seinem neunjährigen Bruder Titus. Man sieht die beiden zusammen Karten spielen, Fahrrad fahren und durch die Gegend streifen, Titus ein wenig zaghaft und voller Bewunderung für den großen Bruder, der ihn zu lehren versucht, was es bedeutet, schwarz zu sein. Etwa wenn er ihm den Unterschied von Hautfarbe und "race" erklärt oder mit improvisierten Boxhandschuhen Ratschläge zur Selbstverteidigung gibt. Ronaldo, der an der Schwelle zum Mannsein steht, strahlt mit seinen 14 Jahren schon einen erwachsenen Ernst aus. Der Vater sitzt im Knast, ebenso seine Cousins. Man spürt die Last der Verantwortung, nicht auf die schiefe Bahn zu gleiten, und das Bewusstsein um die Gefahren, denen sein schwarzer Körper als erwachsener Mann ausgesetzt ist.

Minervini ist kein Vertreter eines "schonungslosen" Realismus, auch wenn seine Filme immersive Prozesse sind, die in monatelanger Nähe zu Familien und Communitys entstehen. Selbst in Augenblicken der Härte verliert er nie die Aufmerksamkeit für das gestaltete Bild – und schafft dabei Momente großer Schönheit und Zärtlichkeit. Man muss sich an ihnen gut festhalten. (Esther Buss, 1.10.2019)