Und dann, ganz nonchalant, als die Sitzung schon fast vorbei ist, verkündet Pamela Rendi-Wagner ihren Entschluss: Christian Deutsch soll ihr neuer Bundesgeschäftsführer werden. Kein Mucks, kein Raunen, niemand äußert Unmut – vorerst. Ein paar Mitglieder des SPÖ-Präsidiums, dem 18-köpfigen und hochkarätigsten Gremium der heimischen Sozialdemokratie, verschicken Textnachrichten, um andere Genossen zu informieren – so wird es übereinstimmend von mehreren Anwesenden erzählt. Aber schon da ist klar: Die Personalie Deutsch wird vielen nicht passen.

Fünf rote Vorstände gehen

Im roten Parteivorstand, der am Montag direkt nach der Präsidiumssitzung zusammentritt, ist die Stimmung dann schon aufgeladen. Aus mehreren Ländern werden kritische Stimmen laut: Ist das die Erneuerung, die von der SPÖ-Chefin am Wahlabend versprochen wurde? Deutsch war ihr Wahlkampfleiter. Und wie dieser Urnengang ausging, ist bekannt: historisch schlechtestes Ergebnis der SPÖ, mehr als 16 Prozentpunkte Abstand zur Volkspartei.

Pamela Rendi-Wagner neben Ex-Nationalratspräsidentin Doris Bures, auf die sich die Chefsozialdemokratin in parteiinternen Fragen verlässt. Dahinter: Christian Deutsch, der neue rote Parteimanager.
Foto: Matthias Cremer

Die Vertreterinnen der Jugendorganisationen sowie zwei Vorstandsmitglieder aus Oberösterreich verlassen aus Protest den Raum, bevor über Rendi-Wagners Wunschkandidaten abgestimmt wird – schlussendlich dann einstimmig.

Deutsch sei ein "Schnellschuss"

"Dauernd wechseln wir unsere Bundesgeschäftsführer, und jetzt schon wieder so ein Schnellschuss, obwohl die letzte Kampagne ja wohl nicht als besonders modern aufgefallen wäre", moniert eine rote Funktionärin. "Ich bin mir nicht sicher, ob der Ernst der Lage erkannt wurde." Ein führender Sozialdemokrat geht noch einen Schritt weiter: "Diese Personalentscheidung könnte den Prozess, dass Pamela Rendi-Wagner ausgewechselt wird, nun doch beschleunigen."

Doch warum scheinen alle Personalentscheidungen der SPÖ-Chefin so umstritten zu sein?

Christian Deutsch wird von vielen klar einem Lager zugerechnet: jenem, das sich einst rund um Rendi-Wagners Vorvorgänger Werner Faymann gebildet hatte. Die engsten Vertrauten des früheren Kanzlers – dazu zählen etwa auch Ex-Nationalratspräsidentin Doris Bures und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig – konnten sich über die Ära Christian Kern hinaus halten und in den vergangenen Monaten ihre Machtsphäre in der Partei wieder ausbauen.

"Entscheiden tut momentan Doris Bures. Pamela frisst ihr aus der Hand, weil die im Gegensatz zu ihr die Partei lange kennt und damit das hat, was unserer Parteichefin fehlt", sagt ein hochrangiges SPÖ-Mitglied.

Rechter und linker Flügel

Die Fraktion rund um Bures, Ludwig und Deutsch wird von den roten Parteilinken als der Wiener rechte Flügel betrachtet. Das gilt vor allem für Fragen der Migration. Selbst halten sie sich für Vertreter einer "pragmatischen" Sozialdemokratie.

Rendi-Wagner gehört als Quereinsteigerin überhaupt keinem Lager an. Sie hat dadurch aber auch keine Machtbasis und keine langjährigen Vertrauten in der Partei. Einzig Thomas Drozda kannte sie schon lange, bevor sie vor zweieinhalb Jahren SPÖ-Mitglied und Ministerin wurde. Nachdem man sie 2018 zur Parteivorsitzenden gewählt hatte, machte sie Drozda zu ihrem Bundesgeschäftsführer – um den strategisch wichtigen Posten mit jemandem zu besetzen, der ihr gegenüber loyal ist. In der Partei hatte dafür aber fast niemand Verständnis – Drozda, der Montagfrüh seinen Rückzug bekanntgab, galt bis zuletzt als unbeliebt.

Wem kann sie vertrauen?

Warum Rendi-Wagner sich nun für Deutsch entschieden hat? Der Wahlwiener hat sie den ganzen Wahlkampf lang begleitet. Er saß stundenlang mit ihr im Auto auf ihrer Tour durch Österreich. Er war in den vergangenen Wochen einer ihrer wichtigsten Strategen. Sie kennt Deutsch inzwischen gut. Rendi-Wagner ist erst seit neun Monaten SPÖ-Chefin, vermutlich zählt er inzwischen zu ihren längsten Vertrauten in der Partei. Und die Alternative wäre wohl gewesen: Einer der starken roten Länderchefs hätte einen anderen Günstling in der Bundesgeschäftsstelle positioniert.

Die Chefsozialdemokratin selbst sagt, sie habe in noch keiner Organisation erlebt, dass eine Personalentscheidung unumstritten war. Einer ihrer Parteifreunde vermutet, dass hinter dem Widerstand gegen Deutsch noch etwas anderes stecken könnte: "Nach einer verlorenen Wahl gibt es weniger Posten zu vergeben, beleidigte Mandatare, unzufriedene Mitarbeiter." Man werde sehen, wie Rendi-Wagner das in den Griff bekomme. "Aber im Moment hat sowieso niemand das Zeug dazu, offen gegen sie aufzustehen." (Katharina Mittelstaedt, 1.10.2019)