Das COLTRIMS-Reaktionsmikroskop, das Alexander Hartung im Rahmen seiner Doktorarbeit in der Experimentierhalle der Physik auf dem Campus Riedberg (Frankfurt am Main), aufgebaut hat

Foto: Alexander Hartung

Die Grafik zeigt einen Schnitt durch den experimentellen Aufbau. Einzelne Gas-Atome, die im Bild durch das senkrechte Rohr von oben nach unten fliegen, werden von einem hochintensiven Laser ionisiert. Der Strahlengang des Lasers ist auf dem hinteren Tisch dargestellt. Die Impulse der Elektronen und Ionen, die in der Reaktion entstehen, werden durch das waagerecht gezeigte bronzefarbene Spektrometer in der Vakuumkammer sehr präzise vermessen.

Illustr.: Alexander Hartung

Albert Einstein hat den Nobelpreis im November 1922 für das Jahr davor nicht etwa für seine berühmten Relativitätstheorien erhalten, denn diese waren damals noch zu sehr umstritten. Die höchste wissenschaftliche Auszeichnung wurde ihm daher statt dessen "für seine Entdeckung des Gesetzes des photoelektrischen Effekts" verliehen – ein Phänomen, das die Physiker bis heute vor Rätsel stellt.

Laut Einstein besteht das Licht aus Photonen, die ihre Energie nur gequantelt auf ein Elektron des Atoms übertragen. Reicht die Energie der Photonen aus, so schlagen sie das Elektron aus dem Atom heraus. Wohin aber der Impuls der Photonen geht, war bisher ein Rätsel, das sich experimentell nicht ergründen ließ. Wissenschaftern der Goethe-Universität Frankfurt am Main ist nun aber dieses Kunststück gelungen. Dafür entwickelten und bauten sie ein neues Spektrometer mit bisher unerreichter Auflösung.

Messen mit extrem hoher Präzision

In dem drei Meter langen und 2,50 Meter hohen Gerät stecken ungefähr so viele Teile wie in einem Auto. In der Experimentierhalle der Physik auf dem Campus Riedberg ist es von einem blickdichten schwarzen Zelt umgeben, in dessen Innerem sich ein extrem leistungsfähiger Laser befindet. Seine Photonen treffen in der Apparatur auf einzelne Argon-Atome, denen sie jeweils ein Elektron entreißen. Der Impuls dieser Elektronen zum Zeitpunkt des Aufbrechens wird in einer langen Röhre der Apparatur mit extrem hoher Präzision gemessen.

Bei dem Gerät handelt es sich um eine Weiterentwicklung des in Frankfurt erfundenen und inzwischen weltweit verbreiteten COLTRIMS-Prinzips: Es besteht darin, einzelne Atome zu ionisieren oder Moleküle aufzubrechen und anschließend den Impuls der Bruchstücke exakt zu bestimmen. Allerdings ist der laut theoretischen Berechnungen erwartete Übertrag des Photonen-Impulses auf Elektronen so klein, dass er bisher nicht gemessen werden konnte. Deshalb hat ein Team um Alexander Hartung das "super COLTRIMS" gebaut.

Über 30 Jahre altes Rätsel

Wenn viele Photonen aus einem gepulsten Laser auf ein Argon-Atom einprasseln, wird dieses ionisiert. Die Energie der Photonen wird dabei teilweise zum Aufbrechen des Atoms verbraucht. Die übrige Energie geht auf das freigesetzte Elektron über. Die Frage, bei welchem Reaktionspartner (Elektron und Atomkern) dabei der Impuls der Photonen bleibt, beschäftigt Physiker seit über 30 Jahren.

"Die einfachste Idee wäre: Solange das Elektron gebunden ist, geht der Impuls auf das schwere Teilchen, also den Atomkern, über. Sobald es frei ist, geht der Photonen-Impuls auf das Elektron über", erklärt Hartungs Doktorvater Reinhard Dörner. Das wäre etwa so, wie Wind, der seinen Impuls auf das Segel eines Boots überträgt. Solange das Segel fest ist, treibt der Windimpuls auch das Boot voran. In dem Moment, in dem die Leinen reißen, geht der ganze Windimpuls nur noch auf das Segel über.

Überraschende Antwort

Die Antwort, die Hartung in seinem Experiment gefunden und im Fachjournal "Nature Physics" veröffentlicht hat, ist aber – wie man es von der Quantenmechanik kennt – noch überraschender: Das Elektron bekommt nicht nur den erwarteten Impuls, sondern auch noch ein Drittel des Photonenimpulses, der eigentlich auf den Atomkern hätte übergehen sollen. Das Segel des Boots "weiß" also bereits vor dem Reißen der Seile von dem nahenden Unglück und klaut dem Boot etwas von dessen Impuls. Um das Ergebnis genauer zu erklären, greift Hartung auf das Bild des Lichts als elektromagnetische Welle zurück: "Wir wissen, dass die Elektronen eine schmale Energiebarriere durchtunneln. Dabei zieht sie das starke elektrische Feld des Laserlichts vom Atomkern weg, während das magnetische Feld den Elektronen diesen zusätzlichen Impuls überträgt." (red, 1.10. 2019)