Wien – Durch Massenaussterbeereignisse werden die Karten für Fauna und Flora neu gemischt. Ökologische Nischen, die bis zur Katastrophe von bestimmten Arten besetzt waren, stehen plötzlich leer – und unter den überlebenden Spezies setzen sich alle möglichen neuen Anpassungen durch, die eine Übernahme dieser Nischen ermöglichen. Neben dauerhaft erfolgreichen Neuentwicklungen kann es dabei auch zu vorübergehenden Experimenten kommen, die sich nicht langfristig durchsetzen.

Von einem solchen berichten nun Forscher der Universität Wien im Fachjournal "Scientific Reports". Sie haben in Italien die Fossilien eines eher eigentümlich gebauten Stachelrochens entdeckt, der vor etwa 50 Millionen Jahren im Eozän lebte. Das Tier erhielt die Bezeichnung Lessiniabatis aenigmatica, also in etwa "bizarrer Rochen aus Lessinia".

Ein eiförmiger Rochen ohne nennenswerten Schwanz – einen Versuch war's wert.
Foto: Giuseppe Marramà

In der Region Lessinia unweit von Verona gibt es eine sehr ergiebige Fundstelle für Fossilien aus dem Eozän. Das heute im nordöstlichen Italien liegende Gebiet war damals eine Küstenregion des Tethys-Ozeans. Die Gegend erinnerte vor ungefähr 50 Millionen Jahren eher an das heutige Great Barrier Reef im Nordosten Australiens, berichtet die Uni Wien. Bisher wurden dort die Überreste von über 230 Fischarten entdeckt. Eine weitere entdeckte nun das internationale Forschungsteam unter der Leitung von Giuseppe Marrama vom Institut für Paläontologie der Uni Wien.

Lessiniabatis hatte einen Körper, wie man ihn noch bei keinem anderen Stachelrochen gesehen hat – weder bei einem fossilen noch bei einem heutigen. Die Brustscheibe mit den daran ansetzenden Brustflossen war eiförmig, zudem hatte das Tier einen extrem kurzen Schwanz. Bei den übrigen Stachelrochen ist der Schwanz stark verlängert und ragt weit aus der Körperscheibe heraus.

Ein Experiment

Das Team sieht den neu entdeckten Rochen als Beleg dafür, wie die Evolution nach dem Massenaussterben durch den Meteoriteneinschlag vor 66 Millionen Jahren die freigewordenen ökologischen Nischen mit neuen Arten füllte. Bekannt wurde dieses Aussterbeereignis, weil es die großen Dinosaurier auslöschte. Auch die Ozeane verloren aber ganze Tiergruppen, von Plesiosauriern und Mosasauriern über die uralte Gruppe der Ammoniten bis zu zahlreichen Fischarten. Die neue Leere wurde nun sukzessive aus den Reihen der Überlebenden befüllt, mit denen die Evolution allerhand Experimente anstellte.

Das konnte auch so altehrwürdige Tiergruppen wie die Knorpelfische betreffen, deren Entwicklung über 400 Millionen Jahre zurückreicht; Haie und Rochen gibt es zumindest seit dem Jura. Die tiefgreifenden Veränderungen am Übergang von der Kreidezeit zur Erdneuzeit machten es möglich, dass auch eine so alteingesessene Tiergruppe ungewöhnliche neue Merkmale hervorbrachte. "Lessiniabatis aenigmatica kann daher als ein kurzfristiges Experiment der Evolution in einer Zeit angesehen werden, als sich das Leben nach dem Aussterbeereignis am Ende der Kreidezeit langsam wieder erholte", so Marrama. (red, APA, 2. 10. 2019)