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Die Wahl ist geschlagen. Bald werden die Sondierungsgespräche und anschließend die Koalitionsverhandlungen beginnen. Die Zeit, die vor uns liegt, ist ausschlaggebend für die inhaltliche Politikgestaltung der kommenden Legislaturperiode. Denn jetzt entscheidet sich erstmals, was mit den Wahlversprechen der Parteien nach der Wahl passiert und ob diese in ein gemeinsames Regierungsprogramm aufgenommen werden.

Wissenschaftlich können Wahlversprechen als all jene Forderungen in einem Wahlprogramm definiert werden, deren Umsetzung auch objektiv überprüft werden kann. Das Versprechen, die Erbschafts- und Schenkungssteuer einzuführen oder abzuschaffen, wäre ein solch objektives Wahlversprechen. Die Forderung nach fairen Pensionen hingegen nicht – denn was "fair" ist, liegt immer im Auge des Betrachters.

Überprüfbare Wahlversprechen

Identifiziert man nun alle objektiven Wahlversprechen in den Wahlprogrammen der späteren Regierungsparteien, dann kann man in einem zweiten Schritt prüfen, welche es in das jeweilige Koalitionsabkommen geschafft haben. Die Tabelle zeigt, wie hoch der Anteil dieser überprüfbaren Wahlversprechen in Österreich zwischen 1990 und 2008 war. Im vorliegenden Untersuchungszeitraum wurden nach den Wahlen vier SPÖ-ÖVP Koalitionen (1990, 1995, 2006, 2008) und zwei ÖVP-FPÖ Koalitionen (1999, 2002) gebildet und entsprechende Koalitionsabkommen formuliert. Dabei gilt es als Aufnahme in das Koalitionsabkommen, wenn ein Wahlversprechen zumindest teilweise übernommen wurde. Ein gutes Beispiel für eine teilweise aufgenommene Forderung ist eine versprochene Steuersenkung, die sich nicht mehr vollumfänglich im Koalitionsabkommen wiederfindet.

Quelle: Praprotnik, Katrin. 2017. Parteien und ihre Wahlversprechen. Einblicke in die Politikgestaltung in Österreich. Wiesbaden: Springer Verlag. Untersuchte Wahlversprechen pro Wahljahr und Regierungspartei: 1990: N=183/134; 1995: N=20/82; 1999: N=275/207; 2002: N=319/263; 2006: N=167/212; 2008: N=166/81.Lesebeispiel: Im Jahr 1990 wurden 64 Prozent der Wahlversprechen der SPÖ teilweise oder vollumfänglich in das gemeinsame Koalitionsabkommen übernommen.

Im Schnitt liegt der Anteil zumindest teilweise aufgenommener Wahlversprechen bei 51 Prozent. Jedes zweite Wahlversprechen der späteren Regierungsparteien fand in der untersuchten Periode also zumindest teilweise Eingang in das Koalitionsabkommen. Ein Vergleich zwischen den Koalitionsvarianten zeigt, dass mit rund 58 Prozent die SPÖ-ÖVP Koalitionen etwas mehr aufgenommen haben als die schwarz-blauen Bündnisse mit 45 Prozent.

Das Gewicht der Wahlversprechen

Wovon hängt es ab, ob ein Wahlversprechen in das Regierungsprogramm aufgenommen wird? Wenig überraschend – aber aus demokratiepolitischer Sicht beruhigend, weil Wahlversprechen demnach eben doch ein Gewicht haben – sind es vor allem jene Dinge, die von beiden Regierungspartnern gleichermaßen bereits im Wahlkampf gefordert wurden. Das waren 2006 etwa die SPÖ-ÖVP Versprechen nach einer Steigerung erneuerbarer Energieträger oder die Schaffung eines unabhängigen Bundesasylgerichtshofs. Außerdem sind es besonders häufig in einem Wahlprogramm erwähnte Forderungen und Wahlversprechen aus für die Parteien zentralen Politikbereichen, die eher in ein Koalitionsabkommen übernommen werden. Die FPÖ versprach etwa 2002 mehrfach die österreichischen Grenzkontrollen bis zur Schengenreife beizubehalten. Außerdem gilt, je näher sich die Koalitionsverhandler in einem Politikbereich stehen, umso eher werden entsprechende Forderungen übernommen. Das war bei SPÖ-ÖVP insbesondere in der Außenpolitik der Fall, bei ÖVP-FPÖ in der Gesundheitspolitik.

Daraus ergibt sich freilich noch nicht, dass nur jene Wahlversprechen, die es in das Koalitionsabkommen geschafft haben, auch umgesetzt werden. Die Forschung zeigt allerdings, dass die in das Regierungsprogramm aufgenommenen Vorschläge eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, umgesetzt zu werden, als andere Forderungen aus dem Wahlkampf. Deshalb sind die bevorstehenden Verhandlungen und das Ergebnis daraus auch so wichtig. (Karin Praprotnik, 3.10.2019)