Boris Johnson will den "Brexit durchziehen", lieferte bei seiner Parteitagsrede aber wenig konkrete Vorschläge zum Knackpunkt Grenze zwischen Irland und Nordirland.

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London – Der britische Premierminister Boris Johnson hat bei seiner Parteitagsrede am Mittwoch erneut seine Vorstellung eines baldigen Austritts Großbritanniens bekräftigt. "Ziehen wir den Brexit durch", rief er auf dem Jahreskongress seiner konservativen Tories. "Wir können es, wir müssen es, und wir werden es tun." Großbritannien werde am 31. Oktober die EU verlassen – komme, was wolle.

Boris Johnson schlägt EU kreative Brexit-Lösung vor.
ORF

Ein vergangenen Monat verabschiedetes Gesetz verpflichtet Johnson dazu, bei der EU um eine Verlängerung anzusuchen, wenn es bis 19. Oktober im britischen Parlament keine Mehrheit für einen Deal oder einen No-Deal-Brexit gibt.

Am Mittwochnachmittag gab es dann erste offizielle Details aus dem laut Johnson "letzten Angebot" zum Brexit-Deal an die EU. In einem Brief an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schrieb Johnson, er wolle die bisher vereinbarte Auffanglösung für die Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland aus dem Austrittsabkommen streichen. Auf Basis der Vorschläge könne die Notwendigkeit von Kontrollen an der Grenze entfallen, erklärte die britische Regierung.

Einheitliche Regeln mit Irland

Einheitliche Regeln in Nordirland und Irland – etwa für alle Güter – sollen dafür sorgen, dass Kontrollen nicht notwendig seien. "Unser vorgeschlagener Kompromiss beseitigt damit den sogenannten Backstop", sagte Johnson. Der Plan sieht außerdem vor, dass Nordirland im Wesentlichen im europäischen Binnenmarkt verbleibt, die Zollunion jedoch verlässt. Kontrollen im Warenhandel mit Irland sollten aber nur "dezentralisiert" über Onlineformulare und Überprüfungen auf Firmengeländen und "an anderen Punkten der Lieferkette" erfolgen.

Erste Seite des Briefes.

Nordirland müsse die Vereinbarungen zuerst genehmigen und alle vier Jahre darüber abstimmen können, ob sie weiterhin gelten sollen. Die Regierung wiederholte auch nochmals das Bekenntnis zum Karfreitagsabkommen.

Der irische Premierminister Leo Varadkar sagte bereits vorab dem irischen Parlament: "Was wir hören, ist nicht ermutigend und kann nicht die Grundlage für eine Einigung sein." Auch Kommissionspräsident Juncker sieht in den Vorschlägen noch eine Reihe offener Fragen. Es gebe "einige problematische Punkte", insbesondere in der Frage der irischen Grenze, erklärte die EU-Kommission nach einem Telefonat Junckers am Mittwoch mit dem britischen Premierminister Boris Johnson. Gleichzeitig habe Juncker Fortschritte in den britischen Vorschlägen gewürdigt.

Johnson betont in dem Schreiben an Juncker, er wolle eine Vereinbarung mit Brüssel, damit sein Land am 31. Oktober "geordnet" austreten könne. "Es bleibt jetzt sehr wenig Zeit", schrieb er. Wenn es beiden Seiten nicht gelinge, eine Vereinbarung zu erzielen, "wäre es ein Scheitern der Staatskunst, für das wir alle verantwortlich wären".

EU-Reaktion

EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagte am Mittwochabend, es bleibe viel Arbeit, um die drei Ziele des Backstops zu bewahren: keine Grenzanlagen, ein gemeinsamer Wirtschaftsraum auf der irischen Insel und Schutz des EU-Binnenmarkts. "Wir werden weiter arbeiten, um eine Einigung zu erreichen", sagte Barnier. "No-Deal wird niemals die Wahl der EU sein, niemals.

Die Brexit-Steuerungsgruppe im Europaparlament will sich am Donnerstag in einer Erklärung zu Johnsons Vorschlägen äußern – in einer ersten Reaktion hatte der Vorsitzende Guy Verhofstadt schon angedeutet, dass die Abgeordneten das Konzept nicht positiv aufgenommen haben. Nachmittags wollen auch die Botschafter der 27 bleibenden EU-Staaten Johnsons Vorstoß beraten. Zum Showdown kommen soll es beim EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober.

"Konstruktive und vernünftige Vorschläge"

Am Vormittag beim Tory-Parteitag versicherte Johnson, die Vorschläge seien "konstruktiv und vernünftig" und ein Kompromiss für beide Seiten.

In seiner Rede kam er außerdem auf eine Reihe anderer Themen zu sprechen – von Infrastruktur, Technologie und Bildung über den Kampf gegen Verbrechen bis zu geteilten Ansichten in seiner Familie. Nach Kritik seiner Geschwister Jo und Rachel sprach er von einem "Ass im Ärmel": "Meine Mutter hat für Leave gestimmt!"

Ziel von Johnsons zahlreichen Gags war oft die Labour-Partei, die Johnson als "antisemitische Marxisten" verunglimpfte und deren Parteichef Jeremy Corbyn er einen Flug als "kommunistischer Kosmonaut" ins Weltall nahelegte.

Zwangspause des Parlaments

Für Aufregung sorgte am Mittwoch Johnsons Vorhaben, das Parlament ab Dienstag neuerlich in eine Zwangspause zu schicken. Er wolle die Sitzungen vom 8. Oktober bis zu einer Rede der Queen zum Regierungsprogramm am 14. Oktober aussetzen, teilte Downing Street am Mittwochabend mit. Die Parlamentarier, die einen Brexit verhindern oder verschieben wollen, hätten damit nur noch drei Sitzungstage um Johnson Steine in den Weg zu legen.

Eine von Johnson angeordnete fünfwöchige Zwangspause des Parlaments hatte das Oberste Gericht des Landes Ende September für "illegal" erklärt. Die nun geplante einwöchige Pause sei "die kürzestmögliche Zeit", um "alle notwendigen logistischen Vorkehrungen" für die Rede von Königin Elizabeth II. zu treffen, teilte das Büro des Premierministers mit. Die Königin verliest traditionell das Regierungsprogramm des Premierministers. (mesc, maa, Reuters, red, 2.10.2019)