Neue Schweizer Banknoten lindern nicht alte Probleme mit Frankenkrediten. Tausende Polen bekamen vor dem EuGH recht.

Foto: Schweizerische Nationalbank / STR

Luxemburg/Wien – Der Europäische Gerichtshof hat den Weg für Massenklagen polnischer Frankenkreditnehmer geebnet. Es sei zulässig, dass das Bezirksgericht Warschau Darlehensverträge der Raiffeisenbank International (RBI) in Schweizer Franken für nichtig erklärte, teilte der Gerichtshof der Europäischen Union am Donnerstag mit.

Der Spruch ist nicht nur für die über ihre Banka Polska (Polbank) in Polen tätige RBI eine Hiobsbotschaft, sondern auch für alle anderen Geldhäuser, die vor der Finanzkrise insgesamt an die 700.000 Frankenkredite vergeben hatten. Die Summe dieser Fremdwährungsdarlehen beläuft sich auf umgerechnet 28 Milliarden Euro, das entspricht fast einem Drittel aller polnischen Hypotheken. In Polen sind derzeit mehr als 11.000 Klagen von Kreditnehmern anhängig.

85 Prozent Aufwertung

Der Grund: Seit der Finanzkrise ist der Schweizer Franken massiv gestiegen, gegenüber dem Zloty um 85 Prozent. Wer einen Frankenkredit aus seinem Zloty-Einkommen bedienen muss, zahlt nun erheblich mehr als seinerzeit im Kreditvertrag vereinbart. Die Problematik gilt für fast ein Drittel aller polnischen Hypotheken. Allein im ersten Halbjahr des aktuellen Jahres kamen laut Justizministerium in Warschau 2021 neue Fälle dazu, das ist ein Anstieg um 39 Prozent.

Vor dem EuGH gelandet ist die Causa, weil ein polnischer Richter vom EuGH klären ließ, ob die Kreditverträge bzw. deren Klauseln gegen EU-Recht verstoßen. Vereinfacht ausgedrückt beschied der EuGH (Urteil C-260/18): Es ist zulässig, dass polnische Gerichte die Darlehensverträge für unwirksam erklären. Die missbräuchlichen Klauseln über die Wechselkursdifferenz dürfen auch nicht durch allgemeine Bestimmungen des polnischen Zivilrechts ersetzt werden.

RBI darf Wechselkurs nicht bestimmen

Ändere sich der Kern dieser Kreditverträge nach Wegfall der missbräuchlichen Klauseln so, dass die Verträge nicht mehr an Fremdwährung gekoppelt wären, und blieben sie zugleich an einen auf dieser Währung basierenden Zinssatz gebunden, steht das Unionsrecht der Feststellung der Unwirksamkeit dieser Verträge nicht entgegen, so der EuGH.

Heißt auf gut Deutsch: Raiffeisen (und alle anderen Banken) darf die Wechselkurse und mit ihnen die Höhe des Restsaldos samt der zu zahlenden Raten nicht frei bestimmen. Und: Diese Verträge sind nichtig. Indirekt führe die Nichtigerklärung der strittigen Klauseln zum Wegfall des Wechselkursrisikos. Da die Wechselkursklauseln aber Hauptgegenstand eines Fremdwährungskredits sind, sei "jedenfalls ungewiss, ob die Aufrechterhaltung des betreffenden Darlehensvertrags objektiv möglich ist".

Gerichte wieder am Zug

Auch hält der EuGH fest, dass Verbraucher nicht gezwungen werden können, auf Nichtigkeit ihres Kreditvertrags zu klagen, wenn sie die daraus folgenden Nachteile scheuen. Was genau geschieht, wenn Kreditverträge für ungültig erklärt werden, ist von polnischen Gerichte zu klären.

RBI wollte das Urteil vor einer vollständigen rechtlichen Bewertung nicht kommentieren. Die Folgen dürften weitreichend sein. Der polnische Bankenverband ZBP schätzt, dass sich die Kosten für alle Geldhäuser zusammen auf bis zu rund 14 Milliarden Euro belaufen könnten – viermal so viel wie die Gewinne polnischer Banken im Jahr 2018.

Der Kurs der RBI-Aktie gab am Donnerstag zeitweise um mehr als drei Prozent nach. Als RBI im Frühjahr ihre Polbank für rund 760 Millionen Euro an BNP Paribas verkaufte, musste sie das rund drei Milliarden Euro schwere Fremdwährungskredit-Portfolio (davon 2,3 Milliarden Franken-Kredite) nach Auflage der Aufsicht behalten. (ung, 3.10.2019)