Hoher Zeitdruck, geringe Bezahlung: Mitarbeiter von Lieferservices.

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Es ist sehr praktisch. Nach der Arbeit wird das Essen beim Lieferservice bestellt, für den Wohnungsputz bei Book A Tiger eine Reinigungskraft gebucht, und nach dem Kinobesuch bringt Uber einen nach Hause. Eine Gemeinsamkeit verbindet diese unterschiedlichen Dienstleistungen: Sie alle werden von atypisch Beschäftigten erledigt. Ob Leiharbeiter oder geringfügig Beschäftigter, Clickworker oder Crowdworker, freier Dienstnehmer oder neuer Selbstständiger – sie alle haben kein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis. Zwar bedeutet atypisch beschäftigt zu sein nicht automatisch, auch in einer prekären Situation zu leben, und es kann für einzelne Personen auch eine willkommene Gelegenheit sein, zusätzlich Geld zu verdienen, aber für die meisten dieser neuen Arbeiter trifft das nicht zu.

Entscheidend sind das Ausmaß der arbeits- und sozialrechtlichen Absicherung und die jeweiligen Lebensumstände, heißt es dazu von der Arbeiterkammer. Es gehe darum, ob der Betroffene beispielsweise mit dem Einkommen seines Teilzeitjobs ein würdiges und selbstbestimmtes Leben gestalten kann oder ob befristete Arbeitsverträge zu einer immer wiederkehrenden Arbeitslosigkeit und zu einem ständigen Gefühl der Unsicherheit und Angst führen.

Veronika Bohrn Mena beschäftigt sich in der Gewerkschaft GPA-djp seit Jahren mit atypischen Arbeitsverhältnissen und warnt vor den fatalen Folgen prekärer Arbeit: "Prekäre Arbeit bedeutet die fehlende Sicherheit in Bezug auf Dauer und/oder Entlohnung des Arbeitsverhältnisses. Es bedeutet, kaum Einfluss auf die Ausgestaltung der konkreten Arbeitssituation, schwachen arbeitsrechtlichen Schutz sowie mangelhafte soziale Absicherung und kaum Chancen auf materielle Existenzsicherung zu haben." Menschen würden in die soziale Isolation getrieben, weil Betroffene von der Hand in den Mund leben müssten.

Überwiegend Frauen

Laut Statistik Austria konnte zwar im ersten Quartal 2019 gegenüber dem Vorjahr ein kräftiger Zuwachs bei Vollzeitarbeitsplätzen (+71.900) verzeichnet werden, und die Teilzeitquote bei den Erwerbstätigen sank von 29,2 Prozent im Vorjahr auf 28,4 Prozent im ersten Quartal. Dieser Wert blieb im zweiten Quartal gleich. Dennoch ist knapp jedes zweite Arbeitsverhältnis von Frauen atypisch – so viele wie in kaum einem anderen Land in der EU. Darüber hinaus gehören etwa 15 Prozent der Voll- und Teilzeitbeschäftigten zu den Niedriglohnverdienern. Und rund acht Prozent der österreichischen Erwerbstätigen, etwa 300.000 Personen, sind armutsgefährdet. Diese Working Poor haben weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. In Zahlen: Sie müssen mit weniger als 1238 Euro netto pro Monat das Auslangen finden.

Dieser Text ist im Magazin Der Standard Karriere am 10.10.2019 erschienen. Erhältlich ist das Magazin hier.

Bildung ist zwar ein guter Schutz dagegen, aber selbst bei Personen mit Hochschulabschluss beträgt die Quote der armutsgefährdeten Erwerbstätigen immerhin sieben Prozent. Die Ursachen dafür sind die oft prekären Arbeitsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung wie befristete Projektarbeit auf Teilzeitbasis oder zeitlich begrenzte Forschungsaufträge. Bei Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss liegt das Risiko bei 14 Prozent. Beschäftigte mit Migrationshintergrund sind ebenfalls deutlich öfter gefährdet. Die Quote der armutsgefährdeten erwerbstätigen Nichtösterreicher liegt bei 16 Prozent.

Altersarmut

Wer im Erwerbsleben schon als armutsgefährdet gilt, wird auch in der Pension in Armut leben müssen. Die negativen Folgen dieser Entwicklung zeigen die Pensionsdaten der Statistik Austria. Männer haben im Dezember 2018 eine durchschnittliche Pension von 1639 Euro bezogen, bei Frauen lag die durchschnittliche Pension nur bei 918 Euro pro Monat. Noch schlechter fiel ihre Medianpension aus: 870 Euro pro Monat. Die Hälfte aller Frauen hat somit eine noch kleinere Pension als diese 870 Euro pro Monat erhalten. Durchschnittlich bekommen Frauen um 43 Prozent weniger Pension als Männer. Der Equal Pension Day, heuer fand er am 29. Juli statt, soll diese Ungleichverteilung deutlich machen. An diesem Tag haben Männer bereits so viel Pension bekommen, wie Frauen erst bis Jahresende erhalten haben werden.

Durch diese Entwicklung sei aber auch das Sozialsystem in Gefahr. Denn ein Sozialstaat finanziere sich vorwiegend durch Beiträge der arbeitenden Personen. In ihrem Buch Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen, erschienen im Verlag des ÖGB, schildert Bohrn Mena Beispiele aus ihrer beruflichen Praxis und die Folgen für den Alltag und die spätere Pension. Denn unter dem steigenden Druck, so Bohrn Mena, würden sich Arbeitende zunehmend schlechteren Arbeitsbedingungen und niedrigeren Löhnen unterwerfen, aus Angst, durch eine billigere und "flexiblere" Person ersetzt zu werden. Auch der langjährige Chefökonom des IWF, Olivier Blanchard, warnt, dass all diese unsicheren Formen von Arbeit extrem teuer seien – sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft.

Entlastung der Niedrigverdiener

"Working Poor entstehen zu großen Teilen durch unfreiwillige Teilzeitarbeit", meint Christoph Badelt, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). In Österreich arbeitet rund die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen Teilzeit, weshalb die Frage der Erwerbsarmut auch eine Frage nach dem Angebot an Kinderbetreuung sei, so Badelt. Die sinnvollste Maßnahme, dieser Gruppe zu helfen, sieht er in einer vollständigen Befreiung der Niedrigverdiener von Sozialversicherungsbeiträgen. "Ist der Verdienst über der Geringfügigkeitsgrenze, fallen plötzlich hohe Beiträge an. Netto bleibt den Erwerbstätigen oft weniger als davor."

Für die Arbeiterkammer ist das wichtige Instrument die Anhebung des Mindestlohns. Schrittweise soll dieser auf monatlich 1700 Euro brutto erhöht werden. Darüber hinaus habe das bisherige System der Weiterbildung in Österreich Lücken. Die Chancen darin sind unterschiedlich verteilt. Besser Qualifizierten stehen mehr Möglichkeiten offen als gering und mittel Qualifizierten, so die Arbeiterkammer. Bildungskarenz oder die Bildungsteilzeit sind für Personen mit einer fixen Stelle konzipiert, nicht aber für jene, die häufiger den Arbeitgeber wechseln (müssen). Daher brauche es einen Rechtsanspruch auf Qualifizierungsgeld in existenzsichernder Höhe, womit sich gerade auch die Weiterbildungschancen für Geringqualifizierte erhöhen würden. (Gudrun Ostermann, 16.1.2020)