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An der Uhr drehen: Zur idealen Arbeitszeit wird weltweit experimentiert.

Foto: Getty Images/American Stock Archive

Arbeitslosigkeit hat fatale Folgen für die Gesundheit, zeigte schon die erste österreichische Studie zum Thema, "Die Arbeitslosen von Marienthal" aus dem Jahr 1933. Auch zahlreiche neuere Untersuchungen weisen nach: Wer keine Beschäftigung hat, leidet eher unter Bluthochdruck, Erschöpfung, einem schlechten Selbstwertgefühl, Schlafstörungen oder sogar Depressionen.

Aber auch zu viel Arbeit macht nachweislich krank, kann zu Stress und Burnout führen. Deutsche Forscher haben etwa gezeigt, dass schon eine Stunde mehr pro Woche Arbeitnehmern zu schaffen machen kann. Für ihre Studie, die sie kürzlich im Fachblatt "Labour Economics" veröffentlichten, werteten sie umfangreiche Befragungsdaten aus. Das Ergebnis: Bereits bei einem Plus von einer Arbeitsstunde sank die selbst eingeschätzte Gesundheit der Befragten um zwei Prozent, und die Anzahl der Arztbesuche stieg um 13 Prozent.

Es nehmen sogar die kognitiven Fähigkeiten ab, ermittelten wiederum australische Forscher. Wer wöchentlich mehr als 40 Stunden arbeitet, sei sogar unaufmerksamer und unkreativer als jemand, der gar nicht arbeitet. Bleibt die Frage: Wie viel Arbeit ist ideal?

Für die Österreicherinnen und Österreicher wären das 36 Stunden in der Woche, wie eine Auswertung der Arbeiterkammer ergeben hat. Pro Tag würde das etwas mehr als sieben Stunden ergeben. Das ist nach Einschätzung einiger Wissenschafter sogar schon zu viel. Sie gehen davon aus, dass der Mensch sich nicht länger als sechs Stunden am Stück konzentrieren kann. "Grundsätzlich sind kürzere Arbeitstage produktiver als längere", sagt auch der Wiener Neurologe Wolfgang Lalouschek in einem Interview mit dem STANDARD.

Weniger Arbeit = mehr Glück?

Der US-Arbeitspsychologe Adam Grant schlägt vor, ein Arbeitstag sollte um 15 Uhr enden. Der niederländische Autor und Historiker Rutger Bregman ist gar für eine Arbeitswoche mit nur 15 Stunden. Das wären drei Stunden pro Tag. Gleichzeitig will Bregman das Pensionsalter auf 80 Jahre anheben. Er behauptet: Wenig, aber doch zu arbeiten fördere die Gesundheit der Menschen bis ins hohe Alter.

Erste Experimente scheinen zu bestätigen, dass kürzere Arbeitstage produktiver, gesünder und schließlich auch glücklicher machen.

Dieser Text ist im Magazin Der Standard Karriere am 10.10.2019 erschienen. Erhältlich ist das Magazin hier.

In einem Projekt in einem schwedischen Pflegeheim wurden die täglichen Arbeitsstunden auf sechs reduziert. Das Projekt musste aus Kostengründen vorzeitig gestoppt werden. Der stellvertretende Bürgermeister berichtete jedoch, dass sich die Bewohner besser betreut fühlten und die Pflegenden gesünder und glücklicher.

Nicht ganz unproblematisch

Auch Unternehmen testen kürzere Arbeitstage. Bei einer Fondsgesellschaft in Neuseeland arbeiteten die Mitarbeiter versuchsweise 30 statt 37,5 Stunden. Begleitet wurde das Experiment von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern zweier Universitäten in Auckland. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass das Stresslevel der Mitarbeiter sank, die Work-Life-Balance verbessert wurde und gleichzeitig die Produktivität des Unternehmens um 20 Prozent stieg. Microsoft Japan ließ seine Mitarbeiter im August eine Viertagewoche testen. Angeblich haben neun von zehn den Versuch im Anschluss positiv bewertet.

Die Kommunikationsagentur Digital Enabler in Bielefeld führte vor zwei Jahren zunächst probeweise den Fünfstundentag ein. Täglich wurde nur noch von acht bis 13 Uhr gearbeitet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten dadurch nachmittags mehr Zeit, um sich zu erholen und sich ihren Hobbys zu widmen, sagte der Chef der Agentur Lasse Rheingans. Gelingen sollte die verkürzte Arbeitszeit, indem Zeitfresser und Unterbrechungen vermieden werden: das Checken der Whatsapp-Nachrichten etwa oder der Tratsch mit der Kollegin.

Ganz unproblematisch ist das allerdings nicht. Folgen waren laut Rheingans nämlich auch, dass die Mitarbeiter tagsüber mehr Stress hatten und die Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen litt.

Ein sozialer Ort

Das gibt auch die Journalistin Felicitas Wilke in der "Süddeutschen Zeitung" zu bedenken. Sie schreibt: "Die Unternehmen, die den verkürzten Arbeitstag ausprobieren, verfolgen zweifelsohne ein löbliches Ziel." Letztendlich werde aber nurmehr in kürzerer Zeit gearbeitet. "Still und konzentriert arbeiten, möglichst ohne Ablenkung, das ist zwangsläufig ein Teil des Konzepts."

Dabei gehe so manches verloren, "was Arbeit zu mehr macht als zum bloßen Broterwerb". Nämlich genau der Tratsch mit der Kollegin, sagt Wilke. "Oder in mehr oder weniger spannenden Meetings zu sitzen, die plötzlich doch an Fahrt aufnehmen, weil ein Kollege eine steile These aufwirft." Der Arbeitsplatz sei ein sozialer Ort. "Wer das Arbeiten maximal verdichtet, macht es dadurch erst zum Ernst des Lebens." Sie fände es schön, bei der Arbeit nicht funktionieren zu müssen "wie ein Uhrwerk", schreibt die Journalistin.

"Auch bei uns sagt manchmal jemand: Heute hätte ich Lust, mal ganz locker zu machen", berichtet Agenturchef Rheingans. Er gibt zu: "So ein Fünfstundentag ist immens anstrengend, weil man natürlich permanent hochkonzentriert sein muss." Der Digital Enabler hat die verkürzte Arbeitszeit dennoch beibehalten, und Rheingans veröffentlichte im August ein Buch über die gesammelten Erfahrungen.

Den fehlenden Austausch am Vormittag, sagt er, würden die Kollegen beim gemeinsamen Mittagessen nachholen. Freitags werde gemeinsam gekocht. Regelmäßig frage er seine Kollegen, ob sie noch zum Fünfstundentag bereit seien, was diese laut Rheingans jedes Mal bejahen. Der Feierabend um 13 Uhr ist vermutlich doch zu verführerisch. (Lisa Breit, 8.11.2019)