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Manche Dinge muss man wirklich mehrmals lesen, bevor man sie glauben kann. Dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund möglicher Schwangerschaften und Kinderbetreuungszeiten als Risiko gelten und entsprechend schlechter bezahlt werden, ist keine Neuigkeit. Dass diese Risikoeinschätzung so aber auch in den Köpfen ziemlich vieler Leute steckt, die keine Jobs zu vergeben haben, muss man erstmal verdauen. Ist aber eine Tatsache. Eine Umfrage der Leitbetriebe Österreich hat ergeben, dass knapp 30 Prozent der befragten Männer und 13 Prozent der befragten Frauen es in Ordnung finden, wenn Frauen weniger Geld verdienen als ihre männlichen Kollegen.

Und bevor hier wieder einige rumlamentieren von wegen unbereinigter Gender-Pay-Gap und Frauen würden sich ja blöderweise hauptsächlich für schlechter bezahlte Jobs entscheiden und Teilzeit und sowieso und überhaupt – die Ausgangsthese, über die es zu entscheiden galt, lautete wörtlich:

"Es ist gerechtfertigt, wenn Frauen aufgrund ihres Ausfallsrisikos (Schwangerschaft, Kinderbetreuung) für dieselbe Leistung tendenziell weniger verdienen als Männer."

Dieselbe Leistung. Diejenigen unter Ihnen, die schon ihre "Computerfachmann versus Erzieherin in Teilzeit"-Vergleiche gewetzt haben, können sie also getrost stecken lassen. Mit denen streite ich mich ein anderes Mal über ihre Annahme, dass die eine für ihre Care-Tätigkeiten an Menschen weniger verdienen sollte als der andere für seine Arbeit an Maschinen. Hier geht es darum, dass Frauen für dieselbe Tätigkeit schlechter bezahlt werden als Männer und fast jeder dritte Mann das für gerechtfertigt hält. Wohlgemerkt auch etwas mehr als jede zehnte Frau.

"Gerechtfertigten" Gender-Pay-Gap

Noch interessanter wird das Ganze durch die flankierenden Thesen zu diesem "gerechtfertigten" Gender-Pay-Gap: Sehr viel weniger Männer (73,5 Prozent) als Frauen (90,5 Prozent) stimmen der Aussage zu, dass Männer für dieselbe Leistung tendenziell mehr Lohn erhalten. Sehr viel weniger Männer (67,5 Prozent) als Frauen (83 Prozent) glauben, dass Männer in Gehaltsverhandlungen tendenziell erfolgreicher sind als Frauen. Und weniger Männer (69,5 Prozent) als Frauen (75,4 Prozent) sind der Meinung, dass die Gehälter innerhalb eines Unternehmens transparent sein sollten.

Zusammengefasst heißt das: Zu viele Männer finden es super, dass Frauen weniger als sie verdienen, weil die ja qua Geschlecht die Kinder bekommen und sich dann gefälligst auch um sie zu kümmern haben. Zugleich stören sie sich daran, wenn das Thema öffentlich besprochen wird. Vermutlich, weil das mit gerecht so viel zu tun hat wie die FPÖ mit Transparenz und Weltoffenheit und sie das auch wissen. Da der Staat nicht einmal ansatzweise genug für Lohngleichheit und Geschlechtergerechtigkeit tut und sich darüber hinaus weigert, Betriebe, Unternehmen und sonstige Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, ist er meiner Einschätzung nach den Frauen noch einiges schuldig.

Und weil ja permanent gegen Frauen pauschalisiert wird, will ich im Gegenzug mal ganz pauschal ausrechnen, wie hoch diese Schulden sind. Lassen Sie uns bei den Müttern anfangen. Immerhin sind die ja aufgrund ihrer Kinder ein ganz reales "Ausfallrisiko", wohingegen kinderlose Frauen einfach in Geschlechterhaft genommen werden. Laut Statistischem Bundesamt Deutschlands betrug der monatliche Bruttolohn 2018 bei Männern 3.964 Euro und bei Frauen 3.330 Euro. Das ergibt eine Differenz von 634 Euro.

Gehen wir der Einfachheit halber von 30 Jahren Berufstätigkeit aus. Das rechnet sich gut, Veränderungen und Brüche in der Erwerbsbiografie sind miteinkalkuliert, und außerdem wäre es doch nett, die Leute nicht zwangsweise bis zum Umfallen arbeiten zu lassen, sondern zu einem Zeitpunkt zu verrenten, an dem sie ihr Leben noch ein paar Jahre und womöglich Jahrzehnte genießen können.

Worauf wir keinerlei Rücksicht zu nehmen brauchen, sind die unterschiedlichen Zeitpunkte in ihrem Berufsleben, zu dem Frauen Kinder gebären. Von der schlechteren Bezahlung sind sie ja auch betroffen, wenn sie noch keine Kinder haben (Stichwort "gerechtfertigt"). Das macht dann pro Kind für jede Mutter 228.240 Euro. Richtig gehört: pro Kind. Für jedes weitere Kind wird die gleiche Summe veranschlagt. Für all die offenen oder angedeuteten "Wie haben Sie vor, Ihre Kinder zu betreuen?"- und "Ist Ihre Familienplanung schon abgeschlossen?"-Fragen. Und wenn frau schon wegen Schwangerschaft und Kindeserziehung ein "Ausfallrisiko" ist, dann gilt das für alle Kinder. Die gebären und erziehen sich nämlich nicht von alleine. In Deutschland betrug die Anzahl minderjähriger Kinder 2018 etwa 13 Millionen.

Das macht zusammen etwas weniger als drei Billionen Euro. Mit dem Bruttoinlandsprodukt von Deutschland aus dem Jahre 2018 wäre diese Summe knapp gedeckt.

Österreich schuldet jeder Mutter 377.940 Euro

Aber das kriegen wir sicher auch österreichspezifischer hin. Laut Statistik Austria betrug das Bruttojahreseinkommen von unselbstständig beschäftigten Männern 2017 33.776 Euro brutto und das von unselbstständig beschäftigten Frauen 21.178 Euro.

Die Differenz beträgt also 12.598 Euro. Nimmt man wieder eine dreißigjährige Erwerbstätigkeit an, dann schuldet Österreich jeder Mutter pro Kind 377.940 Euro brutto. Bei etwas mehr als 1,5 Millionen minderjährigen Kinder im selben Jahr macht das zusammen gut 550 Milliarden Euro. Da reicht dann das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr aus. Der österreichische Staat kann also schon mal anfangen, Geld zusammenzukratzen. Für Mütter wie Manuela Trauner aus Altenburg in Niederösterreich zum Beispiel. Die hat mit ihrem Ehemann Johann 13 Kinder und kann die knapp fünf Millionen Euro sicher gut gebrauchen.

Sie können das gerne für spitzfindig, übertrieben oder irrsinnig halten. Und für ungenau berechnet obendrein, weil es ja beispielsweise auch Mütter gibt, die als Hausfrauen daheim bleiben, und Frauen auch dann schlechter bezahlt werden, wenn sie keine Kinder haben.

Oder wegen der fehlenden Bereinigungsmaßnahmen in Sachen Gender-Pay-Gap. Schlagen Sie also gerne Alternative vor. Ich persönlich wäre ja für eine geschlechtergerechte Gesellschaft mit fairer Bezahlung für jeden und jede. Eine, in der niemand mehr eine schlechtere Bezahlung von Frauen "gerechtfertigt" findet und Schwangerschaft sowie Kindererziehung für ein "Ausfallrisiko" hält. Das würde sicher auch einiges kosten. Aber angesichts dessen, wie tief wir bei Frauen in der Kreide stehen, wäre es das Mindeste, was wir tun können. Außerdem hätten alle etwas davon. (Nils Pickert, 6. Oktober, 2019)