Die kleine Tankstelle ist weg, ebenso die zwei Fahrbahnen und die unzähligen Parkplätze. Stattdessen sehe ich Grünflächen, Menschen, die im Gras liegen, und sogar ein Pferd, das neugierig über einen Zaun schaut. Ich gehe durch die Börsegasse in der Wiener Innenstadt – und erkenne sie kaum wieder.

Denn das, was ich bei meinem virtuellen Spaziergang durch die Virtual-Reality-Brille sehe, ist die von Oliver Bertram und seinem Team vom Architektur- und Designbüro Wideshot erdachte Zukunftsvision von der Straße. Die Designer haben für drei Plätze in der Wiener Innenstadt solche Szenarien entwickelt. Ihre Forschungsfrage lautete: Wie verändert sich die Stadt durch selbstfahrende Autos oder die Sharing Economy – und was machen wir mit dem Platz, der durch das Wegfallen von Parkplätzen frei wird?

Börsegasse in der Gegenwart.
Foto: wideshot
Eine mögliche Zukunft der Börsegasse.
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"Für den normalen Bürger ist es kaum vorstellbar, was sich eigentlich verändern wird, wenn auf der Straße autonome Fahrzeuge fahren", sagt Bertram. Was wahrscheinlich passieren wird, wurde bereits in Studien errechnet. So könnten zum Beispiel 60 bis 80 Prozent aller Parkplätze wegfallen, sagt Bertram. Das ist eine der möglichen Zukünfte für die Wiener Innenstadt.

Durch den Einsatz von Virtual-Reality-Technologie kann aber bereits jetzt ein erlebbarer Eindruck davon vermittelt werden, welche Chancen oder Hürden sich dadurch ergeben. Doch nicht nur reine Information, auch Bürgerbeteiligung im Prozess der Stadtplanung wird in Zukunft mit neuen Visualisierungstechnologien möglich.

Zukunft der Bürgerbeteiligung

Das, was die Wissenschaft oder Politik vorgeben, kann man visualisiert viel leichter näherbringen, sagt Andreas Baur von der Stabsstelle BürgerInnenbeteiligung der Stadt Wien. Mit Augmented Reality oder 3D-Darstellungen könne man "nachfühlen", wie sich eine Straße oder ein Stadtteil verändern wird. "Das hätte uns zum Beispiel bei der Diskussion um die Mariahilfer Straße geholfen", sagt Baur.

Als eine "große Erweiterung der Möglichkeiten" sieht Baur den Einsatz der neuen Techniken. Das Filmmaterial des öffentlichen Raums, das seit einiger Zeit in Bewilligungsverfahren den Beamten der Stadt Wien die Arbeit erleichtert, könnte man in Zukunft auch den Bürgern zur Verfügung stellen. Man könnte gemeinsam am Umbau einer Straße arbeiten und die Anwohner sehr früh in Planungsprozesse einbinden.

Was in naher Zukunft in Sachen Transparenz und Teilhabe der Bürger an politischen Planungsprozessen möglich wird, zeigt das EU-Projekt Smarticipate. Mit Beteiligung der Städte Rom, Hamburg und London wurde eine Anwendung entwickelt, mit der Bürgerbeteiligung einfacher und effektiver werden soll. "Das Ziel ist es, Bürgern nicht nur etwas zu zeigen, sondern sie so einzubinden, dass sie auch mitgestalten können", sagt Joachim Rix vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD), der Leiter des Projekts Smarticipate. Zukünftige Bewohner eines neuen Stadtteils können zum Beispiel ihr Haus virtuell schon einmal aufstellen und die Größe und die Dachform wählen. Dann könne man etwa sehen, was es bedeutet, wenn man das Dach oder den Grundriss ändert, und wie sich zum Beispiel der Schattenwurf auf das Nachbarhaus dadurch verändert.

Aber nicht nur Karten und 3D-Modelle, sondern auch Augmented-Reality-Anwendungen sind gute Tools, so Rix. Jeder geht ohnehin mit seinem Smartphone durch die Straßen und hätte dann künftig zum Beispiel die Möglichkeit, verschiedene Optionen eines Straßenumbaus vor Ort "auszuprobieren". So können Bürger in Hamburg derzeit im Rahmen von Smarticipate das Pflanzen neuer Bäume planen und ihre Wünsche auch umsetzen lassen.

Die Parkplätze sind weg. Richtung Ring ist viel Grün zu sehen.
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Der Wandel kommt

Für seine Visualisierung der Zukunft hat Wideshot "extrem gutes Feedback" von Automobilherstellern, Stadtverwaltungen und Logistikunternehmen bekommen, sagt Oliver Bertram. Sie alle seien auf der Suche nach Lösungen, die die Stadt der Zukunft greifbarer machen. Die Verunsicherung aufgrund des Mobilitätswandels sei sehr groß, "jeder weiß, dass sich sein Umfeld und sein Betätigungsfeld ändern werden, es weiß aber niemand, wie", so Bertram. Zusammen mit dem Münchener Unternehmen Green City Experience arbeitet Wideshot nun an einem Bürgerbeteiligungsmodell, hier geht es nun darum, konkrete Auswirkungen des Wandels auf die Mobilität in Städten auszuloten.

Auf dem Weg zurück gehe ich noch einmal durch die Börsegasse. Dass hier Autos sogar in vier Spuren parken können, ist mir bisher nicht aufgefallen. Und die kleine Tankstelle wirkt, nach meiner kleinen Virtual-Reality-Tour, mit einem Schlag sehr antiquiert. Der kurze Ausflug in eine veränderte städtische Realität, mit mehr Platz für die Fußgänger und vielen grünen Flächen, macht mich mit einem Schlag zukunftsnostalgisch. (Olivera Stajić, 7.10.2019)