Ein Artwork zur "Everquest 2"-Erweiterung "Planes of Prophecy".

Foto: Everquest 2

Welches ist das älteste moderne Online-Rollenspiel, in dem man sich in voller 3D-Grafik durch eine Fantasiewelt abenteuert? World of Warcraft dürfte vielen als Antwort auf diese Frage einfallen. Erschienen ist das Game vor fast 15 Jahren, im November 2004.

Auch wenn Blizzards Dauerinstallation des Konflikts von Orks, Menschen und anderen Fantasy-Völkern schon lange sehr erfolgreich ist – es ist zwar damit immerhin eines von drei Oldies, die das Genre geprägt haben, aber eben nicht das erste. Doch der Reihe nach.

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Beginn einer Ära: "Everquest"

Wo frühe Multiplayer-Rollenspiele, sogenannte "MUDs" (Multi-User Dungeons) mit Text auskamen, entwickelten sich in den 1990ern mit dem Einzug von 56k-Leitungen, ISDN und Breitband-Internet schließlich Onlinewelten in 2D-Draufsicht und isometrischer Grafik. Den Grundstein für moderne, dreidimensionale MMORPGs legte aber schon 1999 ein Titel namens Everquest. Das von den 989 Studios und Verant Interactive entwickelte Game kam unter der Flagge von Sony fünf Jahre vor World of Warcraft, also 1999, auf den Markt. Die mittelalterliche Fantasy-Welt löste nicht nur einen gewaltigen medialen Hype aus, sondern erwies sich auch unter den Spielern als populärer als gedacht.

Das Spiel versetzte seine Teilnehmer in die Welt von Norrath, in welcher der Einstieg schon kein Zuckerschlecken war. Wer starb, verlor sein komplettes Inventar und musste sich wieder zum Ort des Ablebens begeben, um sein Hab und Gut zurückbekommen. Eine Schnellreisefunktion gab es nicht, ebensowenig Reittiere. Und manche Routen zwischen wichtigen Orten waren gerade deshalb berühmt-berüchtigt für ihre Gefährlichkeit. Die war umso größer auf PvP-Servern, denn abseits gesicherter Zonen – im Wesentlichen große Städte – konnte jederzeit jeder jeden attackieren. Das galt auch für Dungeons, in die man sich normalerweise nur zu mehreren vorwagte, um große Monster im Team zu bezwingen. Diesen "Härtefaktor" verkaufte man später auch als wichtigen Unterschied zu World of Warcraft.

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Es folgten mehrere Erweiterungen und ein Ausbau der Spielwelt. 2004 brachte man mit Everquest 2 den offiziellen Nachfolger an den Start. Beide Versionen existieren bis heute, finden aber nur noch ein Nischenpublikum. Zudem ist man aufgrund schwindender Spielerzahlen schon lange vom Abo- auf ein Free2Play-Modell umgestiegen und hat auch den Einstieg erleichtert.

Mittlerweile ist Daybreak Games verantwortlich für beide Games. Everquest 2 hat laut der Seite "MMO Population" eine Spielerbasis von 55.000 Teilnehmern, wobei zu Spitzenzeiten über 500 Abenteurer gleichzeitig online sind. Das Original schlägt sich deutlich besser, hier kommen auf über 670.000 Mitglieder rund 38.000 tägliche Teilnehmer. "Rock Paper Shotgun" hat dem Spiel vor einigen Monaten anlässlich seines 20. Geburtstag einen lesenswerten Besuch abgestattet.

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Der Wegbereiter der MMO-Shooter: "Neocron"

Das Cyberpunk-Genre kommt wieder in Mode. Nicht nur wird von vielen sehnlichst der Release von Cyberpunk 2077 im kommenden Jahr erwartet, auch ein neuer Matrix-Film soll in die Kinos kommen. In die Zeit, in der die Matrix-Trilogie zahlreiche Kinogänger begeisterte, fällt auch der Start der Online-Welt von Neocron, die 2002 ihre Pforten öffnete.

Sie versetzt die Spieler in das 28. Jahrhundert. Im Jahr 2143 war der Dritte Weltkrieg ausgebrochen, und aufgrund des Einsatzes mächtiger Massenvernichtungswaffen stürzte er die Menschheit binnen weniger Stunden in den zivilisatorischen Abgrund. Es dauerte Jahrhunderte, ehe sich wieder rudimentäre Gesellschaften ausbildeten, und schließlich erwuchsen zwei große Städte aus dem amerikanischen Ödland – Neocron und Dome of York. Doch beide sind zum Zeitpunkt des Spieles von Krisen geschüttelt und in einen Krieg gegeneinander verwickelt, während immer mehr Menschen versuchen, in die chinesische Kolonie auf dem Planeten Irata 3 zu fliehen, die von einem vor dem Krieg verschollen geglaubten Kolonieschiff gegründet worden war.

In diesem Setting galt es, sich im Auftrag verschiedener Fraktionen zu verdingen, sich aufzurüsten und auch einem Handlungsstrang zu folgen, der einen an neue Orte innerhalb von Neocron brachte, außerhalb der schützenden Kuppel abenteuern und den Dome of York besuchen ließ. Das Medienecho war gemischt, doch das Game erreichte eine stabile Teilnehmerbasis.

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In vielen Aspekten war Neocron ein sehr klassisches MMO. Eines unterschied es jedoch klar von der Konkurrenz. Es wurde in Ego-Perspektive gespielt, und statt Gegner anzuklicken sowie Skills und Gegenstände zu betätigen, wurden wie in einem Shooter Kämpfe ausgetragen. Damit stand das Game auch Pate für viel aktuellere Games wie The Division oder Titanfall.

Für 2004 planten die deutschen Entwickler von Reakktor ein Add-on namens Beyond Dome of York, das aufgrund des großen Umfangs aber schließlich als eigenständiges Spiel veröffentlicht wurde. Einige Zeit lang konnten Neocron-Spieler ihre Charaktere und Fortschritte dorthin transferieren, ehe die Server des ersten Teils abgeschaltet wurden. Neocron 2 existiert bis heute, wurde aber nach einer Reihe von Erweiterungen, grafischen Aufwertungen und einem Neustart der Welt 2016 als Neocron Evolution weitergeführt. Parallel dazu existiert auch noch ein in der Betaphase steckendes Fanprojekt, die Neocron Classic Community Edition. Wie viele Teilnehmer die Games haben, ist allerdings nicht öffentlich bekannt. Einträge in verschiedenen Foren aus den vergangenen Jahren legen aber nahe, dass die Bevölkerungsdichte mittlerweile recht gering ist.

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Das erste 3D-MMO für den Browser: "Runescape"

Noch vor Everquest und Neocron, genauer gesagt im Jahr 1998, stellten die Entwickler Constant Tedder, Paul Gower und Andrew Gower ein Rollenspiel auf die Online-Plattform Miniclip. Runescape ermöglichte Teilnehmern das Entdecken und Abenteuern in einer gemeinsamen Welt, ohne ein großes Game herunterladen und installieren zu müssen. Ein Browser nebst Java-Plug-in waren ausreichend. Gespielt werden konnte außerdem kostenlos. Auch wenn man sich dabei lange auf ein Fenster in einer Website beschränken musste und die Grafik ausgesprochen rudimentärer Natur war, fand das Spiel viel Zulauf.

Gespielt wurde in einer 3D-Draufsicht, wie man sie von verschiedenen Action-Adventures kennt. Das Universum bedient sich aus der klassischen "Mittelalter und Magie"-Schublade. Der Feature-Umfang war einem "vollwertigen" MMORPG wie Everquest zwar zu Beginn weit unterlegen, gleichzeitig machte dies das Game aber sehr zugänglich für Neulinge. In regelmäßigen Updates wurde es außerdem Stück für Stück erweitert.

Im Jänner 2001 folgte eine kostenpflichtige verbesserte Version, während man die erste Ausgabe parallel weiterlaufen ließ. 2004 erhielt die Bezahlausgabe ein umfangreiches grafisches Update und die kostenlose Ausgabe den Namenszusatz "Classic". Die "klassische" Edition wurde jedoch 2005 für die meisten Spieler abgedreht. Im Laufe der Jahre folgten anlassweise immer wieder temporäre Öffnungen der Server, ehe man sich 2018 komplett davon verabschiedete.

RuneScape

2008 folgte die nächste große Wachablöse mit Runescape HD, das nun auch im Vollbild spielbar war. Laut Medienberichten schwankten die Spielerzahlen über die Jahre immer wieder stark. Weil die Basis aufgrund negativer Reaktionen auf verschiedene Neuerungen teils merklich geschrumpft war, brachte man schließlich eine auf moderner Basis ungesetzte Ausgabe des alten Spiels 2013 als Old School Runescape an den Start. Wollen die Entwickler hier ein neues Feature umsetzen, so wird dazu zuerst die Community befragt. Erst wenn mehr als 75 Prozent der Teilnehmer zustimmen, werden die Änderungen implementiert.

Im Browser ist Runescape nicht mehr spielbar, dafür aber auf Mobilgeräten. Und von der Aufteilung in eine kostenlose und eine abopflichtige Version ist man abgegangen. Stattdessen setzt man auf ein Freemium-Modell. Grundsätzlich kann man mitspielen, ohne Geld einzuwerfen. Allerdings wird Werbung eingeblendet und man kann bestimmte Skills nicht erlernen, viele Teile der Welt nicht betreten und dementsprechend auch eine Reihe von Quests nicht annehmen, ohne einen monatlichen Beitrag zu zahlen.

Old School Runescape hat die modernisierte Fassung in Sachen Popularität klar überholt. Laut "Misplaced Items" sind täglich teilweise über 100.000 Spieler gleichzeitig online. Rund 80.000 davon erleben ihre Abenteuer lieber im Game von gestern. (gpi, 5.10.2019)