Lange bevor die Neapolitaner in Italien als "mangiamaccheroni", Makkaronifresser, berühmt wurden, waren sie als "mangiafoglie" bekannt – die Blätterfresser. Heute, wo ganz Italien (die ganze Welt?) hoffnungslos der Pasta verfallen ist, ist die neapolitanische Leidenschaft für Grünzeug noch auffallender, weil sie nicht allgemein gehalten, sondern sehr speziell ist: Neapolitaner lieben nicht alle Blätter. Sie lieben vor allem bittere Blätter.

Die Gemüsestände sind voll mit Endivien und Löwenzahn, dunklen Blattbrokkolis wie Broccoli Nero oder Broccoli di Natale, und zur richtigen Jahreszeit bringen spezialisierte Marktfahrer große Holzkisten voll kleinwüchsigem wildem Bittergemüse in die Stadt.

Könige des Bittergemüses

Die unbestrittenen Könige des Bittergemüses aber sind die Friarielli. Für den ungeübten Marktgeher sehen sie mehr aus wie etwas, das am Wegesrand wächst, als etwas, das am Gemüsestand liegen sollte: grün, stängelig, mit gezackten Blättern und kleinen gelben Blüten. Tatsächlich bauen die Neapolitaner es in ihren Gärten einfach an, indem sie eine Handvoll Samen auf den Boden streuen. Wo sie hinfallen, wird Friarielli wachsen. Der Geschmack hingegen ist außergewöhnlich: leicht bitter, medizinal, mit einem Hauch von kerniger Schärfe und einer Idee Mandel. Gleichzeitig sind sie ganz erstaunlich kräftig, irgendwo auf halbem Weg zwischen Gemüse und Gewürz – und süchtigmachend gut (siehe Fußnote 1).

Foto: Tobias Müller

Sie sind noch vor den ersten Artischocken die frühesten Boten des nahenden Herbstes. Sobald der Spätsommer ein wenig auskühlt und die ersten Herbstgewitter nachts die Bucht erleuchten, türmen sich die ersten dicken Bündel Friarielli auf den Märkten. Zwei Handvoll der Stängel werden mit Gummiringerln oder, noch öfter, Schlingpflanzen zusammengebunden und zwischen 50 Cent und einem Euro das Bündel verkauft. Und damit im Sommer keiner unter Entzug leidet, gibt es Friarielli glücklicherweise auch eingelegt im Glas.

Bitteres Gemüse

Es gibt in dieser Stadt kein Restaurant, das das Gemüse nicht anbieten würde: Pizzerien packen es auf und in Pizza (zusammen mit Salsiccia), Trattorien servieren es als Cotorni zu Fleisch, und Bäckereien füllen Brote damit. So wichtig ist Friarielli für die neapolitanische Identität, dass es als eine Art Initiationsritus verwendet wird: Wenn einem Kind das bittere Gemüse schmeckt, ist es erwachsen, sagt der Volksmund hier.

Wen das jetzt sehr an Cime di Rapa erinnert, dem ich hier schon einmal ein Loblied gesungen habe, der hat absolut recht: Die beiden sind sich sehr, sehr ähnlich. Gut möglich, dass Friarielli die gleiche Art ist, der die neapolitanische Erde und das Klima ganz besonders guttut, es kann aber auch sein, dass es sich um einen nahen Verwandten handelt – ich konnte das bis heute aufgrund einander widersprechender Angaben nicht klären.

Neapolitaner bestehen darauf, dass Friarielli keinesfalls Cime di Rapa sind, und weil ich noch länger mit ihnen auskommen will und muss, werde ich ihnen nicht widersprechen. Weil Friarielli, soweit ich weiß, außerhalb Neapels nicht zu bekommen sind, Cime di Rapa aber schon, hat die Ähnlichkeit jedenfalls auch sehr gute Seiten.

Foto: Tobias Müller

Ich persönlich schätze Friarielli besonders gemeinsam mit einem weiteren urneapolitanischen Produkt: Salsiccia, grober Schweinswurst, die hier jeder Fleischer selber macht und in unterschiedlichen Dicken anbietet. Weil unser Kaki-Baum gerade fast unter der Last seiner Früchte zusammenbricht, habe ich außerdem am Ende des Kochens noch einige frische Kakis hineingeschnitten. Das ist ganz und gar unneapolitanisch, aber es war sehr, sehr gut. Die Süße der Kakis steht dem bitteren Friarielli ausgezeichnet. Wer keine Kakis hat: Ich schätze, auch ein Apfel oder gar eine Birne funktionieren gut.

Die Zubereitungsart ist übrigens wunderbar für jegliche Form von Bittergemüse geeignet – sei es Löwenzahn, Endivie oder Chicorée.

Friarielli con Kaki e Salsicce (für zwei, lässt sich aber leicht verdoppeln)

Gute Friarielli zu machen gilt in Neapel als klassische Großmutterkunst. Das Gemüse wird stets mit etwas Knoblauch und gern einem Hauch Chili geschmort, bis es ganz dunkel und ziemlich weich ist. Ich füge ihm gern noch ein, zwei Salzsardellen für noch mehr Punch hinzu. Bevor sie in der Pfanne landen, werden Friarielli traditionell kurz blanchiert.

Foto: Tobias Müller

Ich finde ja, dass Gemüse niemals gekocht werden sollte, weil es dabei unnötig Geschmack an das Wasser verliert – es sei denn, ich mache Suppe und strebe genau das an. Ich lasse diesen Schritt daher stets weg.

Salsicce werden in Neapel selten mit mehr als Salz und Pfeffer gewürzt – sie sind meist Schwein in Reinform. Oft werden sie aus dem Darm geschält und zum Garen fest auf eine heiße Grillplatte gepresst – ganz ähnlich wie Kenji López-Alts Smashed-Burger-Technik. Das Ergebnis ist gleichzeitig knusprig und saftig. Was kann man sich von einer Wurst mehr wünschen?

Wer in Wien oder Umgebung wohnt: Robert Brodnjak und Krautwerk verkaufen auf dem Wiener Karmelitermarkt derzeit grandioses Bittergemüse, darunter Cime di Rapa, die Bioschanzen am Nasch- und Kutschkermarkt haben meist tollen Löwenzahn und jede Menge Kohl im Angebot, und Donatella auf der Margaretenstraße hat ganzjährig Friarielli in Gläsern. Donatella bekommt außerdem jeden Dienstag frische Salsicce aus Neapel geliefert.

250 Gramm Friarielli (oder ein anderes Bittergemüse)

1–2 Salzsardellen, am besten aus Cetara oder Pisciotta

2 Knoblauchzehen

1–2 getrocknete Chili

1–2 reife, aber nicht matschige Kaki (oder anderes Obst)

2 Salsicce

Olivenöl, eine halbe Zitrone

Friarielli gut waschen. Die Stiele klein hacken, die Blätter grob hacken. Knoblauchzehe ein wenig andrücken, die Schale entfernen und in dünne Scheiben schneiden. Die Chili fein schneiden.

Foto: Tobias Müller

Olivenöl in einem schweren Brater oder einer Pfanne heiß werden lassen. Erst Chili, dann die Sardellen und den Knoblauch kurz darin braten, bis es durftet.

Foto: Tobias Müller

Die gehackten Stiele zugeben und etwa fünf Minuten braten. Dann die Blätter zugeben, zusammenfallen lassen und bei geschlossenem Deckel und niedriger Flamme braten, bis sie weich und dunkel sind, etwa weitere 15 Minuten (Neapolitaner würden sie wohl gute 30 bis 40 Minuten schmoren, aber ich finde das übertrieben).

Foto: Tobias Müller

Währenddessen die Kaki in mundgerechte Scheiben schneiden. Zu den Friarielli geben, ein paar Minuten mitbraten, dann von der Hitze nehmen und mit geschlossenem Deckel ziehen lassen, während die Salsicce braten. Vor dem Servieren mit einigen Spritzern Zitrone abschmecken.

Foto: Tobias Müller

Die Salsicce aus der Haut schälen und je nach Größe halbieren oder dritteln. Eine Gusseisenpfanne sehr heiß werden lassen.

Die Salsicce hineinlegen und mit einer Metallspachtel jeweils zehn Sekunden kräftig in die heiße Pfanne pressen. Braten, bis sie schön gebräunt sind und sich leicht von der Pfanne lösen, etwa drei Minuten.

Wenden und auf der anderen Seite braten, bis sie gebräunt und gar, aber nicht trocken sind, etwa weitere zwei bis drei Minuten.

Foto: Tobias Müller

Zusammen mit den Friarielli servieren.

Foto: Tobias Müller

Wenn Sie in Neapel sind, trinken Sie wahrscheinlich einen kühlen, leicht moussierenden Rotwein für zwei Euro den Liter dazu. (Tobias Müller 6.10.2019)

Fußnote:

Botanischer Fun-Fact: Alle Kohl- und Krautarten, zu denen auch Friarielli gehören, gehen auf zwei wilde Verwandte zurück: Brassica oleracea, das im Mittelmeer heimisch ist, und Brassica Rapa, das aus Asien stammt. Interessanterweise sind jene Kohlarten, die in Süditalien besonders beliebt sind – etwa die Friarielli – Abkömmlinge des asiatische Stammvaters, nicht des mediterranen.