Kneifen geht jetzt nicht. Da steht die Wahlkabine mitten im Raum, und man soll nun hineingehen, um sein Votum für eine Partei abzugeben – also eigentlich wie bei einer richtigen Bundestagswahl.

Wobei Stimme "abgeben" nicht ganz der richtige Ausdruck ist. In dieser speziellen Einrichtung im Berliner Futurium lächelt man einfach nur in eine Kamera. Dann rechnet der Computer und spuckt jene Partei aus, die man ohnehin wählen möchte. Angeblich.

Es dauert ein paar Sekunden, die Nervosität steigt. Der Computer wird einen doch nicht bei dieser einen grässlichen, unwählbaren Partei verorten. Er tut es nicht, Gott sei Dank. Das Ergebnis aber ist dennoch nicht befriedigend, das Gelächter der wartenden Kollegen groß.

Für diese "Wahlkabine der Zukunft" wurden die Porträts aller 709 Bundestagsabgeordneten eingescannt und einmal unterstellt, alle Abgeordneten würden ihre eigene Partei wählen. Der Computer gleicht nun über seine Kamera die Gesichter der Besucher mit diesem einprogrammierten Wissen ab, ein Algorithmus berechnet aufgrund der Gesichtsmerkmale der Besucher, welcher Partei diese ihre Stimme geben wollen.

Wählen mit einem Lächeln – im Futurium wird eine mögliche Demokratie der Zukunft geprobt.

Ausrufe des Erstaunens

Oft ist Gelächter hinter dem Vorhang zu hören, manchmal auch ein Ausruf des Erstaunens. Die Wahlkabine hat sich binnen kürzester Zeit zum Hit des Futuriums gemausert, was man dort mit Wohlwollen sieht.

"Per Gesichtsausdruck abzustimmen kann keine Lösung für die Zukunft sein", sagt David Weigend, Leiter der Abteilung Bildung und Partizipation. Warum diese merkwürdige Wahlkabine hier steht, erklärt er so: "Wir wollen zum Nachdenken anregen. Was passiert, wenn wir mit der Technik der Zukunft doch auf das falsche Pferd setzen und an der falschen Stelle abbiegen?"

Nachdenken, neugierig sein, abwägen, überlegen, diskutieren, ausprobieren – dazu will das Futurium die Besucherinnen und Besucher bringen. "Haus der Zukünfte" nennt sich der auffällige Bau mitten im Berliner Regierungsviertel, gleich neben dem Bildungsministerium. Eine Wolke, die im Zentrum von Berlin gelandet ist, sehen manche darin. Eine Brille, mit der man in die Zukunft schauen kann, andere. 58 Millionen Euro hat der Bau gekostet, finanziell getragen wird das Futurium von der Bundesregierung, Unternehmen und Forschungseinrichtungen.

Wie wollen wir leben? Dieser Frage wird im Futurium auf rund 3200 Quadratmetern Ausstellungsfläche in Berlin nachgegangen. Thematisiert wird auch, wie die Städte der Zukunft aussehen könnten.
Foto: afp

Die Zukunft ist gestaltbar

"Wir sind kein Prognoseinstitut, und wir haben auch keine Glaskugel, aber wir glauben, dass Zukunft gestaltbar ist und dass wir alle dafür Verantwortung tragen", sagt Futurium-Direktor Stefan Brandt über sein Haus, das in Europa einzigartig ist.

Vor tausend Jahren sei Zukunft etwas gewesen, das "unabänderlich auf die Menschen zurollte". Heute aber sei Zukunft ganz anders zu sehen: als etwas, das der Mensch aktiv beeinflussen könne.

Wie und wo genau, das kann und will Brandt nicht sagen. Er meint aber: "Es gibt nicht eine Zukunft, es gibt viele Zukünfte und Möglichkeiten."

"Wie wollen wir leben?" steht groß auf dem Gebäude – bewusst als Frage formuliert, nicht als Feststellung. Drei große Bereiche umfasst die Ausstellung: Mensch, Natur, Technik. Vorgestellt werden Pilze, die eines Tages Plastik oder sogar Baumaterialien ersetzen sollen, ebenso wie die Vision einer Stadt in der oben das Grün dominiert, während sich die Menschen zum Arbeiten und zur Fortbewegung unter die Erde zurückziehen.

Manches im Futurium erscheint, nun ja, futuristisch.

Manches erscheint sehr, nun ja, futuristisch, etwa wenn fliegende Windkraftanlagen vorgestellt werden. Flugwindenergieanlagen sollen den Wind dort nutzen, wo er stärker weht, also in 300 bis 500 Meter Höhe. Stehende Windturbinen für den Offshore-Betrieb kommen nur auf 200 Meter. Die Vorteile der "Flieger": Sie sind weniger zu hören und zu sehen, stören also Anwohner nicht so sehr.

Allerdings: Es besteht Kollisionsgefahr der Anlagen untereinander und auch mit anderen Flugobjekten. Also muss man über Flugverbotszonen – wie es sie etwa auch über Kernkraftwerken gibt – nachdenken.

Das Futurium steht im Berliner Regierungsviertel und ist nur ein paar Schritte vom Hauptbahnhof entfernt.

Die Regeln des Menschen

Immer wieder stößt man im Futurium auf Pro- und Contra-Argumente, den Besuchern wird keine fertige Lösung präsentiert, sie sollen sich selbst Gedanken machen. Denn, so Direktor Brandt: "Es ist der Mensch, der die Regeln für die Technik macht."

Dass die Technik allein versagen kann, das zeigt die Wahlkabine. Aus allen abgegebenen Lächeln hat sie ein Bundestagswahlergebnis ausgerechnet, welches die SPD erfreuen dürfte. Sie führt dabei mit 43 Prozent, die CDU kommt nur auf zwölf Prozent.

Die Realität aber sieht ganz anders aus: Bei der letzten Bundestagswahl im Herbst 2017 kam die SPD nur auf 20,5 Prozent, in Umfragen liegt sie noch darunter.

Wer sich mit all den Fragen und Möglichkeiten im Futurium befassen will, der sollte mindestens drei Stunden Zeit mitbringen. Stärken kann man sich übrigens in der Cafeteria mit Essen aus der Zukunft: Zum Flussbarsch werden geröstete Mehlwürmer gereicht. Sie sind, wie die Bedienung versichert, durchaus gefragt. (Birgit Baumann, 8.10.2019)