Rein rechnerisch hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz drei potenzielle Mehrheitspartner. Aber wie groß sind die inhaltlichen Schnittmengen mit den anderen Parteien im Parlament überhaupt? DER STANDARD unterzog SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos anhand von 30 ausgewählten ÖVP-Positionen einer Koalitionsrechnung. Sehen Sie, wer mit wem kann, wo wie groß die inhaltlichen Übereinstimmungen sind, wo es klare Gegensätze gibt – und was vielleicht Verhandlungsmasse ist, weil die Positionen zumindest teilweise Überschneidungen aufweisen.

Bildung: Übereinstimmung mit der FPÖ

Im Bereich der Bildung stimmen ÖVP und FPÖ in weiten Teilen überein. Gemeinsam im Nationalrat beschlossen haben die beiden Parteien Deutschförderklassen und verpflichtende Ziffernnoten in der Volksschule (Pädagogikpaket 2018) sowie im Mai ein Kopftuchverbot in der Volksschule, während die potenziellen Koalitionspartner SPÖ, Grüne und Neos in diesen drei Punkten dagegen gestimmt haben.

Türkis und Blau sind auch die einzigen beiden Parteien, die eine Gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen ablehnen. Einzig bei der Einführung allgemeiner Studiengebühren will die FPÖ den freien Hochschulzugang für "leistungswillige Österreicher" erhalten, während die ÖVP sich für moderate Studiengebühren ausspricht. Auch die Neos sind dafür, die Gebühren sollen allerdings nachgelagert sein und erst ab einer gewissen Gehaltshöhe fällig werden.

Integration/Migration: ÖVP und FPÖ stimmen überein

In Fragen von Integration und Migration stimmen ÖVP und FPÖ erneut überein: Seien es hohe Hürden für die Einbürgerung, eine Integrationspflicht oder das Zurückschicken von Bootsflüchtlingen nach Nordafrika. Auch Asylwerberinnen und Asylwerber in Lehre sollen weiterhin abgeschoben werden.

Die anderen drei Parteien beziehen dazu konträre Positionen. Einzig bei Bootsflüchtlingen sieht die SPÖ Österreich bei der Aufnahme "nicht vorrangig gefordert" und die Neos können sich eine staatliche Rechtsberatung für Asylwerberinnen und Asylwerber bei Weisungsfreiheitsgarantie vorstellen.

Soziales/Arbeit: Differenzierteres Bild

Die Finanzierung des aktuellen Pensionssystems sehen vier Parteien sichergestellt. Nur die Neos fordern einen Automatismus nach schwedischem Vorbild: entsprechend der steigenden Lebenserwartung eine schnellere Angleichung des Pensionsantrittsalters von Männern und Frauen. Beim Pensionssplitting gehen Grüne und Neos mit der ÖVP d'accord, die FPÖ zeigte sich als Koalitionspartner zumindest gesprächsbereit, die SPÖ ist gegen das Modell.

Bei Sozialleistungen für Ausländerinnen und Ausländer finden sich Türkis-Blau wieder auf einer Linie. Die anderen drei Parteien sind gegen eine Andersbehandlung von Ausländerinnen und Ausländern. Die Notstandshilfe will die ÖVP abschaffen, SPÖ und Grüne wollen sie behalten, die FPÖ zeigt sich über ein neues Modell gesprächsbereit und die Neos sprechen sich für eine Zusammenlegung von Notstandshilfe und Mindestsicherung aus.

Auch bei einer potenziellen Mietzinsobergrenze – die ÖVP ist gemeinsam mit den Neos dagegen – gibt es unterschiedliche Positionen: Die SPÖ ist für die Einführung, die FPÖ nur bei älteren Wohnungen und die Grünen fordern eine Begrenzung des Mietpreises nach 30 Jahren.

Steuern: Zahlreiche Parallelen

Weitgehende Übereinstimmungen finden sich im Steuerbereich: SPÖ, FPÖ und Neos stimmen mit der ÖVP überein, wenn es um eine Abgabensenkung geht, um die Entlastung aller (und nicht nur von Geringverdienern) sowie um die geringere Belastung von Unternehmen. Die Grünen sprechen sich für die Umschichtung von Abgaben weg von Arbeit hin zu Ressourcen aus und für die Entlastung von Kleinbetrieben, ansonsten dominiert steuerlich die Ökologisierung.

Vermögens- und Erbschaftssteuern finden bei Türkis-Blau-Pink keine Mehrheit, die SPÖ will sie hingegen einführen und auch die Grünen sympathisieren mit einer Vermögenssteuer und fordern dezidiert eine Erbschaftssteuer.

Umwelt: Eher noch FPÖ

Bei den überprüften Umweltpositionen scheint die ÖVP am wenigsten mit den potenziellen Koalitionspartnern überein zu stimmen. Keine CO2-Abgabe auf nationaler Ebene einzuführen unterstützen SPÖ und FPÖ. Beim Standortentwicklungsgesetz stimmten FPÖ und Neos mit der Volkspartei.

Ein anderes Bild zeigt sich bei zwei weiteren Themen: Drei Parteien sprechen sich für ein "Österreichticket" aus, die ÖVP sieht hier keine Priorität, die Neos zeigen sich gesprächsbereit. Klimaneutral soll Österreich spätestens bis 2040 werden. Die ÖVP will dies bis 2045 erreichen, die FPÖ spätestens im Jahr 2050.

Sicherheit: Viel mit FPÖ, wenig mit den Grünen

Auch in Sicherheitsfragen nimmt die Volkspartei unterschiedliche Positionen zu den Grünen und auch den Neos ein. Während die ÖVP Österreichs Grenzen schützen und das Bundesheer besser ausstatten will, sehen die anderen beiden Parteien keine Notwendigkeit für permanente Kontrollen an den Binnengrenzen.

Bei Abfangjägern sprechen sich die Neos für eine europäische Lösung aus. Von fast allen Parteien soll das Bundesheer mehr Geld bekommen – hier sind nur die Grünen dagegen und fordern zudem eine Konzentration des Heeres auf den Katastrophenschutz.

Demokratie: Grüne und Neos zum Teil

Die ORF-Gebühren sind für manche Parteien keine prioritäre Frage, aber nur die FPÖ will sie abschaffen. Was die Finanzen der Parteien und deren Überprüfung durch den Rechnungshof betrifft, sprechen sich die Parteien für mehr Transparenz aus, dezidiert gegen eine RH-Prüfung ist nur die SPÖ.

Die ÖVP spricht sich dafür aus, Internetforen zu verpflichten, die Klarnamen aller Nutzerinnen und Nutzer zu erfassen. Die anderen Parteien sind dagegen, um das Recht auf freie Meinungsäußerung zu erhalten. Die FPÖ konnte sich aber immerhin mit der ÖVP auf einen gemeinsamen Entwurf einigen.

Fazit: Mit dem alten, aber nur sehr kurzzeitigen Koalitionspartner FPÖ gäbe es inhaltlich den geringsten Widerstand, 70 Prozent Übereinstimmung mit den ausgewählten ÖVP-Positionen. Mit den Grünen hingegen, dem begehrten neuen, erstmaligen Regierungspartner, ist die gemeinsame Inhaltsbasis sehr gering mit nicht einmal 17 Prozent. Wären die Neos im Spiel, weil eine Dreierkoalition notwendig wäre, so kämen sie mit der Volkspartei auf mehr als ein Drittel (36,67 Prozent) gemeinsamer Positionen. Und der langjährige Großkoalitionärspartner SPÖ? Nur etwas mehr als ein Viertel (26,67 Prozent) geteilter Positionen stehen auf der Habenseite.

(red, 6.10.2019)