Mit seiner kontemplativen Form enthält "Chaos" auch eine Reflexion darüber, ob Kunst eine Antwort auf Traumata sein könnte. Der Film hat bei der heurigen Diagonale den Preis als bester Spielfilm gewonnen.

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Das Schweigen sagt eigentlich alles. In Sara Fattahis Chaos wird über lange Strecken so wenig gesprochen, dass man die Stille allmählich schreien hört. Es ist ein Schweigen, das auf Erfahrungen antwortet, die sich in Worte sicher nicht fassen lassen können. In was aber dann? Im Fall von Hiba, einer jungen Syrerin in Schweden, vielleicht in eine Form von Textilkunst, auf die sie schließlich kommt, nachdem sie eine lange Odyssee hinter sich gebracht hat.

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Sie ist aus Syrien geflohen, als dort der Krieg auf dem Höhepunkt war. In Schweden ist sie zwar körperlich angekommen, sie lebt nun aber in einer eigenen Welt zwischen da und dort, zwischen damals und jetzt. Und weil sie dieses Leben kaum erträgt, versucht sie es sich auf eine ungewöhnliche Weise zu nehmen: mit einem Selbstmordversuch durch zu viel Schlaf. In dieser (sarkastischen) Ankündigung steckt allerdings auch schon wieder ein Stück Überlebenswille.

Zweierlei Maß von Dauer

Sara Fattahi, die selbst auch aus Syrien geflohen ist und nun in Wien lebt und arbeitet, versucht mit ihrem Film eine Grenze erfahrbar zu machen: die Grenze des Traumas. Wenn ein Mensch etwas so Schreckliches erfährt, dass es sich nicht verarbeiten lässt, dann hört das Leben auf – und geht gleichzeitig weiter. So ist das bei den drei Frauen, von denen Chaos erzählt. Hija ist eine Freundin der Filmemacherin, Raja ist eine Freundin der Mutter von Sara Fattahi. Die dritte ist sie selbst. Raja ist immer noch in Damaskus, sie betrauert den Verlust ihres Sohnes und sinnt auf Rache. Vor allem aber hat sie sich eingebunkert, in ihre Wohnung und in ihre schwarze Kleidung, die sie wie ein Mahnmal trägt.

Mit seiner kontemplativen Form enthält Chaos auch eine Reflexion darüber, ob Kunst (im weitesten Sinn) eine Antwort auf Traumata sein könnte. Hiba hat offensichtlich trotz aller psychischen Probleme ein Talent dafür, sich selbst und ihre Nöte auszudrücken. Und Sara Fattahi selbst sucht eine Assoziierte (das Wort könnte hier passen, weil es der psychischen Dissozation entgegenwirkt) in der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Sie ist in Chaos in zweierlei Form präsent: durch eine Darstellerin, die sich durch Wien bewegt, vor allem durch ihre Originalstimme. "Mit meiner verbrannten Haut schreibe ich über die Natur des Feuers", ist Bachmann in einer historischen Aufnahme zu hören.

Chaos ist ein Film, der dem Schweigen entrungen wurde. Kein Sieg der Kunst, aber ein zitternder Schritt aus der Erstarrung. (Bert Rebhandl, 4.10.2019)