Erwin Kräutler: "Die Regierung und diese neokapitalistische Gesellschaft denken bei Land an Kaufen und Verkaufen."

Foto: Florian Kopp

"Dom Erwin" wird er in Amazonien genannt. Dort hat sich der österreichische Geistliche Erwin Kräutler jahrzehntelang für die Rechte von Brasiliens Indigenen eingesetzt – trotz Morddrohungen und eines mysteriösen Autounfalls. Seit 2015 emeritierter Bischof, kämpft er weiterhin für Ureinwohner und Umweltschutz. So hat er auch an den Vorbereitungen zur dreiwöchigen Amazonas-Synode mitgewirkt, die am Sonntag im Vatikan beginnt und an der er wie Kardinal Christoph Schönborn teilnimmt. Eines der Hauptthemen wird die Amazonas-Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro sein, die die Waldbrände im Regenwald mitverschuldet hat. Doch es gibt weitere Gefahren, sagt Kräutler im STANDARD-Interview.

STANDARD: Die Welt schaut auf Amazonien wegen der Brände. Aber in Ihrer Wahlheimat Altamira droht eine ganz andere Gefahr.

Kräutler: Ja, das Damoklesschwert schwebt über uns durch die bevorstehende Eröffnung der kanadischen Goldmine Belosan. Die Menschen glauben an das Versprechen von Arbeitsplätzen. Aber das wird nicht klappen, denn sie haben gar keine Ausbildung. Die Mine wird eine Riesengefahr, wir haben ja gesehen, wie viele Bergbauunfälle in Brasilien passieren. Es gibt nur sehr laxe Umweltgesetze und Kontrollen. Die Mine will zwölf Jahre lang Gold schürfen, mit dem Einsatz von Zyanid. Danach bricht die Firma ihre Zelte ab. Sie hat das Gold, die Regierung die Royalty-Gebühren und wir den Abfall. Wenn du das kritisierst, zeigen sie dich an, denn sie haben alle Genehmigungen von der Regierung.

STANDARD: Die Regierung von Jair Bolsonaro steht solchen Großprojekten noch viel aufgeschlossener gegenüber als die Vorgängerregierung.

Kräutler: Ihm geht es darum, Amazonien zu erschließen. Die Leidtragenden werden die Indigenas sein. Denn er packt die alte Leier wieder aus und sagt, viel zu viel Land für so wenige Indios. Im Grunde genommen geht es ihm darum, die Rechte aus der Verfassung von 1988 rückgängig zu machen. Indigene existierten im rechtlichen Sinne lange gar nicht. Erst in den 1930er-Jahren tauchten sie in der Verfassung auf, und zwar als Waldbewohner, die man in die nationale Gesellschaft eingliedern müsse. Sie galten damals als Menschen dritter Klasse. Die Regierung war ihr Vormund, sie hatten keinen Pass und keine Rechte. Wir als Kirche haben uns damals dafür starkgemacht, dass die Indigenen ein Recht auf ihre Sprache und ihre Kultur haben. Laut den Übergangsbestimmungen hätten innerhalb von fünf Jahren alle indigenen Gebiete abgegrenzt werden müssen. Nicht einmal die Hälfte ist bis heute so weit.

STANDARD: Die Regierung hält die Indigenen also für rückständig.

Kräutler: Sie haben ihre Kultur, ihre Sprache, ihre eigene Art und Weise. Rückständig sind sie nur aus der Sicht der Weißen. Sie sind kulturell anders, und deshalb werden sie verfolgt, weil sie nicht so denken, wie der Weiße denkt. Für die Indigenen ist ihr Gebiet das Land ihres Überlebens, ihrer Mythen, ihrer Riten. Die Regierung und diese neokapitalistische Gesellschaft denken bei Land an Kaufen und Verkaufen. Es geht also um Land zum Leben und um Land als Ware. Und wenn ein Land wie das der Indigenen Bodenschätze hat, müssen sie geschürft und ausgeplündert werden.

STANDARD: Viele Indigene vermieten aber ihr Land oder stimmen Großprojekten zu.

Kräutler: Leider Gottes. Als ich sie kennenlernte, existierte der Tauschhandel. Dann entdeckten sie das Geld, und das häuft man an. Je mehr, umso besser. So verkauften sie ihre Seele. Genauso wie in der nichtindigenen Gesellschaft bedarf es der Bewusstseinsbildung. Man muss einsehen, dass wir uns damit schaden.

STANDARD: Welche Rolle spielen die Indigenen im Umweltschutz?

Kräutler: Wir sind dafür, dass ihre Gebiete abgegrenzt werden. Zusammen mit den indigenen Gebieten und den Nationalparks retten wir, was noch zu retten ist. Denn nach wie vor ist der Andrang der Unternehmen so groß, dass Amazonien immer weiter abgeholzt wird, und das hat Folgen für die ganze Menschheit.

STANDARD: Das wird ja auch ein wichtiges Thema bei der Amazonas-Synode sein. Welche Erwartungen haben Sie?

Kräutler: Sie hat eine ganz neue Ausrichtung nach dem Prinzip Sehen – Urteilen – Handeln. Zuerst wurden die Leute gefragt. Es ist keine Analyse von Wissenschaftern, sondern der Papst wollte, dass die Leute reden. Das verfolgt sogar die Regierung argwöhnisch, General Augusto Heleno hat gesagt, die Synode sei ein Eingriff in die internen Angelegenheiten Brasiliens. Das heißt, er will uns mundtot machen, aber das wird ihm nicht gelingen. In Rom werden wir über neue Wege der Evangelisierung und eine ganzheitliche Ökologie diskutieren. Dabei geht es nicht nur um Tiere und Wasser, sondern um den Menschen und seine Mitwelt.

STANDARD: Aber es geht auch um innerkirchliche Probleme. Konservative Bischöfe halten das Vorbereitungsdokument für einen Angriff auf den Katholizismus, weil der Zölibat und die Weihe von Laien angesprochen werden.

Kräutler: Mir als Bischof liegt am Herzen, dass wir andere Wege ins Priestertum finden als nur über einen unverheirateten Mann. Es geht mir darum, dass möglichst viele Menschen Zugang zur Eucharistie haben. Und es geht auch um kulturelle Anpassung. Praktisch zelebrieren wir die Messe hier am Amazonas so wie im Petersdom. Wir brauchen eine Kirche mit amazonischem Antlitz. (Sandra Weiss, 5.10.2019)