Auf Mord folgt Mord folgt Mord: Thyestes (Munwai Lee) und Atreus (Nic Lloyd, re.) wollen an die Macht.

Eva Würdinger

Wer stellt sich hinten an, wenn Frau Fortuna austeilt", fragt Griechenfürst Atreus in Senecas Drama Thyestes. Ja, eben! Er selber bestimmt nicht. Machthunger treibt den König aus der unseligen Tantaliden-Dynastie an. Sein Bruder Thyestes und er haben bereits den Halbbruder erschlagen, nun ringen sie beide um den Thron.

Zunächst unterhält Thyestes mit Atreus' Ehefrau eine Affäre; dann entwendet er auch noch das dynastische Machtsymbol, das Goldene Vlies. Die griechische Mythenlandschaft ist nun einmal ein Minenfeld an Provokationen! Wer es nicht weiß: Am Ende wird Atreus Thyestes' Söhne dem Vater zum Mahl vorgesetzt haben.

Viel Theaterblut haben die Inszenierungen des Stoffes schon in Anspruch genommen. Auch bei Claudia Bosses Sprechchoreografie Thyestes Brüder! Kapital wird es blutig. Doch der Fokus ihrer im September in Düsseldorf uraufgeführten und jetzt in Wien zu sehenden Inszenierung liegt nicht auf der optisch wirksamen Menschenschlacht, sondern auf dem Körperlichwerden von Wörtern, Sätzen und deren Inhalten.

Volkskörper

"Begehbare Raumchoreografie" nennt es Claudia Bosse: Fünf DarstellerInnen mischen sich auf der Freifläche des Kasinos am Kempelenpark, einer Großkantine im Zwischennutzungszustand im zehnten Bezirk, unter das Publikum. Die nackten Performer sind so etwas wie Fleisch- und Sprachträger zugleich. Ihre mit Farbe verfremdeten Körper bezeugen das kreatürliche Leben, sind aber auch – zu Skulpturen arrangiert – der Volkskörper (der Chor), der mit geweiteten Augen das Unfassbare Schritt für Schritt erfragt.

Wie ein Mantra legt Bosse am Ende einen Text von Karl Marx zum Verhältnis von Produktion und Konsumption über das Kannibalenstück, hervorragend gesprochen von Juri Zanger.

Wirksam ist der Abend immer dort, wo er die expressionistische Zuspitzung (mimisch, vokal) meidet und sich auf performative Bilder konzentriert. Etwa das auf zwei Fäden schwingende tote Fleisch, das "ewig" zwischen den Menschen bleiben wird. (Margarete Affenzeller, 4.10.2019)