Am Wahlsonntag rasselte die FPÖ von 26 Prozent auf 16,2 Prozent herunter. Seitdem kommt die Partei nicht zur Ruhe. Zu Wochenbeginn forderten erste Landesfreiheitliche die Suspendierung von Heinz-Christian Strache oder dessen Ausschluss. Tags darauf kam der Ex-FPÖ-Chef den Parteispitzen darin zuvor. Weitere Nachbeben sind nicht ausgeschlossen. Ist die FPÖ am Ende?

THESE 1: Blau hat nun einmal Pause.

Mitnichten. Wer angesichts des blauen Wahldebakels glaubt, dass die FPÖ abgemeldet ist, der irrt. Offiziell gab FPÖ-General Harald Vilimsky zwar schon seit Sonntag nach der ersten Hochrechnung die Parole aus, dass minus zehn Prozentpunkte "eindeutig den Weg in die Opposition zeigen".

Kickl, Hofer und Vilimsky wollen das "rot-weiß-rote Gewissen" der Nation sein. Die Frage ist: In der Regierung oder auf der Oppositionsbank?
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Doch selbst wenn die FPÖ mit ihren immer noch rund 16 Prozent im Parlament auf den Oppositionsbänken Platz nähme, bedeutet das laut Vilimsky: "Vom ersten Tag an werden wir das rot-weiß-rote Gewissen sein, dann sind wir auch maximal beweglich – was sich als Turbo für unsere Wählerrückholaktion erweisen wird."

In anderen Worten: Die FPÖ würde in diesem Fall hemmungslos auf ihre Kernkompetenz, also noch rabiateren Rechtspopulismus, setzen – und danach trachten, Türkis-Rot oder Türkis-Grün vor allem wegen ihrer laschen Ausländerpolitik vor sich herzutreiben.

Doch bis es so weit kommt, ist eine Fortsetzung von Türkis-Blau keineswegs vom Tisch. Denn die Freiheitlichen warten sehr wohl darauf, dass ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Zuge zäher Koalitionsverhandlungen mit den anderen Parteien auf seinen alten Partner zukommt.

Einen neuerlichen Regierungseintritt "könnten wir dann damit begründen, dass wir unsere staatspolitische Verantwortung wahrnehmen, weil die anderen nicht wollen", erklärt ein FPÖler. "Jetzt aber wäre es allzu kühn, in eine Koalition zu drängen."

Auch Politikexperte Thomas Hofer bestätigt, dass "die FPÖ schon oft totgesagt wurde". Im Zuge der Abspaltung des BZÖ genauso wie angesichts der Gründung des Team Stronach – was sich jedes Mal als Irrtum erwiesen habe. Und auch nach dem für die FPÖ desaströsen Wahlergebnis bleibe es dabei, dass sich ÖVP und FPÖ inhaltlich am leichtesten einigen könnten.

Nur der blaue Klubchef Herbert Kickl bliebe beim gemeinsamen Weiterregieren ein großer Unsicherheitsfaktor. Allerdings, so Hofer: Mit der SPÖ oder den Grünen könnte sich Kurz wiederum "jede Message-Control abschminken".

THESE 2: Strache ist politisch erledigt.

Das sehen selbst die blauen Parteispitzen so, nachdem ihnen der Ex-FPÖ-Chef mit seinem Oligarchinnenabend auf Ibiza die Neuwahl eingebrockt und das Wahlkampffinish mit dem Auffliegen seiner Spesenexzesse verpfuscht hat. Allein: Ob Heinz-Christian Strache nach seiner Suspendierung als FPÖ-Mitglied tatsächlich Ruhe gibt, bereitet der FPÖ-Führung weiterhin Sorgen.

Denn sein Gebaren erinnert die Wegbegleiter an die unsteten Zeiten mit Altparteichef Jörg Haider, der einst immer wieder seinen Abgang ("Bin schon weg!") verkündete, um sich wenig später als "wieder da" zu erklären. Dazu ein Freiheitlicher: "Strache ist derzeit in einem psychischen Ausnahmezustand." Rational habe er eingesehen, dass er sich von der Partei lösen müsse, aber: "Dann stürmen wieder drei Leute auf ihn zu, um mit ihm ein Selfie zu machen – dann glaubt er wieder, es braucht ihn noch in der Politik."

Auch Politologe Hofer bestätigt, dass sich Strache bei seinem letzten Auftritt, mit dem er der Partei bei der Suspendierung zuvorkam, "eine Hintertür" für eine Rückkehr offengelassen hat: Zwar verkündete er seinen "völligen Rückzug", doch tat er das auch schon nach Publikwerden der Causa Ibiza, um danach immer wieder für die Partei verstörende Statements abzugeben, erinnert Hofer. Dazu stellte Strache eine "Aufklärung" seiner Causen und damit eine Entlastung in Aussicht – was wiederum ein Comeback möglich mache.

Das Kapitel Strache ist in der FPÖ noch nicht abgeschlossen: Unklar ist unter anderem, ob Philippa Strache, Ehefrau des Ex-FPÖ-Chefs, in den Nationalrat einzieht.
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Bisher ebenfalls ungeklärt: Ob Philippa Strache, Ehefrau des Ex-FPÖ-Chefs, ihr Mandat im Nationalrat annehmen will oder überhaupt kann. Doch in diesem Fall wäre der soeben Suspendierte so gut wie sicher weiterhin über parteiinterne Vorgänge aus erster Hand informiert – und könnte so erst recht wieder mitmischen.

THESE 3: Der FPÖ droht die Spaltung.

Es ist ein kollektiver Wunsch des linken Lagers und eine schmutzige Fantasie so mancher Anhänger von ÖVP-Chef Kurz: Knittelfeld II; die Selbstzerstörung der FPÖ; eine Spaltung der freiheitlichen Partei. Und all das schien so nahe. Nach dem Abgang von Strache und der Machtübernahme durch die Antipoden Norbert Hofer und Herbert Kickl verging kaum eine Woche, in der medial nicht darüber spekuliert wurde, wie lange die FPÖ noch den internen Flügelkämpfen standhält.

Aber gibt es überhaupt zwei oder mehrere Lager in der blauen Familie? Oder war das gegensätzliche Auftreten von Neo-Parteichef Hofer und seinem Vize Kickl vielmehr ein Marketing-Gag – eine Guter-Bulle-böser-Bulle-Taktik, um unterschiedliche Wählergruppen anzusprechen?

Die kurze Antwort lautet: Beides ist zu bejahen.

Ein freiheitlicher Ideologe erklärt: "Natürlich vereinen wir historisch zwei Flügel in der Partei – den bürgerlich-konservativen und den national-liberalen." Parteichefs wie Jörg Haider oder auch Strache hätten diese Bipolarität in sich vereint. "Sie konnten bürgerlich, konziliant und vernünftig sein, aber genauso leutselig, untergriffig und beinhart. Man hat ihnen beides irgendwie abgenommen, ohne dass es ein Widerspruch gewesen wäre."

Guter Bulle und böser Bulle in der FPÖ: Norbert Hofer und Herbert Kickl.
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Hofer hingegen stehe – insbesondere seit dem Bundespräsidentschaftswahlkampf – ausschließlich für eine freundliche, zurückhaltende FPÖ. Er benötigte einen harten Gegenpart, einen scharfen Kläffer an seiner Seite: Kickl, der den nationalen Flügel abdeckt. Im Wahlkampf hat man sich also für eine Doppelstrategie entschieden. "Das war aber offenkundig nicht sehr erfolgreich."

Tobt also jetzt ein eiskalter Machtkampf im Hintergrund? "Kickl würde sehr gern die Partei übernehmen, das steht fest", sagt ein Freiheitlicher. Nachsatz: "Mit ihm an der Spitze schrumpfen wir aber auf eine 15-Prozent-Partei zusammen." Hinter Kickl würden ein Teil der Burschenschafter und viele frühere Strache-Anhänger stehen.

Hofer könne hingegen die bürgerlichen Rechten und mehrere blaue Landeschefs neben sich vereinen – allen voran den innerparteilich mächtigen Oberösterreicher Manfred Haimbuchner. "Wir haben unsere Lehren aus Knittelfeld gezogen. Eine Spaltung droht nicht, aber es wird derzeit um eine klare Linie gerungen." Hofer oder Kickl – einer der beiden wird sich künftig zurücknehmen müssen.

Und dann gibt es auch noch den neuen Außenfeind: Altparteichef Strache, der die neue Parteispitze derzeit zusammenrücken lässt. Denn in der FPÖ befürchten viele, dass der Ex-Chef eine eigene Partei gründen könnte.

Spalten würde eine "Liste Strache" die FPÖ inzwischen nicht mehr, sind die meisten Freiheitlichen überzeugt. Die Spesen-Affäre und seinen üppigen Lebensstil würden dem früheren Vizekanzler die meisten nicht verzeihen. "Er könnte nur Obskuranten mit schlechtem Leumund von uns abwerben", formuliert es ein blauer Burschenschafter. "Um die wäre es aber eh nicht schade."

Ein anderer FPÖler meint: "Für eine eigene Partei braucht er Geld – wer soll ihm das bezahlen?"

THESE 4: Der Boden ist noch nicht erreicht.

Drohen den Freiheitlichen bei den anstehenden Wahlen weitere Verluste, oder wird die Affäre rund um Privatluxus auf Parteikosten bald wieder vergessen sein? Die Antwort ist: Beide Szenarien sind zeitgleich möglich. Die FPÖ wird alles tun, um die Causa Spesen zu einer Causa Strache zu erklären.

Das wird so lange gutgehen, solange dieses Thema der FPÖ nicht wieder von außen aufgezwungen wird – also etwa dann, wenn Medien über neue Ergebnisse im Strafverfahren berichten. Dieses Strafverfahren schließt ja auch die Wiener Landespartei mit ein.

Sollte das Verfahren aber lediglich eine Steuernachzahlung für Strache bringen und der Untreue- oder gar Betrugsverdacht sich in nichts auflösen, dann könnte die FPÖ mit der Strategie "eisern aussitzen" gut fahren, meint Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. In diesem Fall wird die FPÖ bald wieder Stimmen zurückholen können. Derzeit liegen die Blauen nämlich unter ihrem Kernpotenzial, das Stainer-Hämmerle mit rund zwanzig Prozent beziffert. "Die Hälfte davon war diesmal gar nicht wählen, die könnte man wieder zurückholen."

Die Partei habe die Tragweite der Spesen-Affäre unterschätzt, zudem habe sie vor der Wahl auch nicht angemessen darauf reagiert, sagt die Politologin. Mit längerer Vorbereitungszeit – und ohne Wahlkampfstress – könnten die Blauen zu ihrer üblichen Kommunikationsstrategie zurückkehren: zur Erzählung "Das machen ja alle so".

Dann trete nämlich ein paradoxer Effekt ein: "Die Menschen verlieren das Vertrauen zu allen Parteien – und wählen genau deshalb die FPÖ." Trotzdem sind die kommenden Landtagswahlen für die Freiheitlichen ein Angstfaktor.

In Vorarlberg ist ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner gefestigt, FPÖ-Konkurrent Bitschi nicht so sehr. In der Steiermark ist FPÖ-Listenerster Mario Kunasek zwar beliebt, der bundesweite Dämpfer könnte aber auch den Aufwärtskurs der steirischen Blauen schwächen, vermutet Stainer-Hämmerle.

Besonders haarig wird es bei der Landtagswahl in Wien 2020: Hier ist weit und breit kein Kandidat in Sicht, der an die Popularität von Strache herankommen könnte. Das macht ihn zur Bedrohung für die FPÖ: Denn das Szenario einer eigenen Liste Strache steht weiter im Raum. (Katharina Mittelstaedt, Maria Sterkl, Nina Weißensteiner, 6.10.2019)