Bei Risikopatienten hat die Grippeimpfung eindeutige Vorteile. Bei Patienten mit Herzschwäche sinkt die Sterblichkeit um 18, bei Menschen mit Bluthochdruck um zehn Prozent.

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Es geht ganz schnell. "Nur eine einzige Falschmeldung kann das Vertrauen in eine Impfung über Jahrzehnte beeinträchtigen", sagt Herwig Kollaritsch vom Zentrum für Reisemedizin. In vielen Ländern seien bestimmte, aber oft ganz unterschiedliche Impfungen in Verruf gekommen, meist weil einmal schlechte und meist unwahre Nachrichten darüber verbreitet wurden. "Sowas erzeugt eine Grundtendenz, die Einstellung zu Impfungen ist extrem emotional", so Kollaritsch. Zudem steige der Anteil skeptischer Patienten durch die Verbreitung von Fake-News in den sozialen Medien.

Was noch vom Impfen abhält, so Kollaritsch: Kaum einer hat je eine schwere Infektionskrankheit mit eigenen Augen gesehen, und "was wir nicht sehen, davor haben wir keine Angst. Es gibt keinen Leidensdruck." Ein Patient, der zu einer Impfung geht, ist vollkommen gesund – "und hat daher null Toleranz gegenüber Nebenwirkungen".

Das kennt auch Christoph Wenisch vom SMZ Süd – KFJ-Spital der Stadt Wien aus seinem Berufsalltag. Das Pflegepersonal, so erzählt er, sei Impfungen gegenüber tendenziell skeptisch eingestellt. Doch seit es in Spitälern eigene Grippestationen gibt, um Übertragungen zu verhindern, sieht das Personal täglich, welche Auswirkungen das Virus haben kann. Seither gebe es in seinem Haus keine Debatten mehr, ob die Impfung sinnvoll ist. "Man muss es nur sehen", so Wenisch.

Nicht umzustimmen

In Österreich sind laut Umfragen drei Prozent der Menschen Impfungen gegenüber "sehr negativ" eingestellt. Diese Gruppe lässt sich auch nicht umstimmen, sagt Kollaritsch. Alle anderen könne man, wenn beim Arzt oder Apotheker eine fundierte Auseinandersetzung erfolgt, überzeugen. Auch auf die Art der Impfung kommt es an und darauf, wie hoch die Skepsis in der Bevölkerung ist, so Kollaritsch. So sei etwa die Tetanusimpfung durchaus anerkannt.

Extrem schlecht steht es hingegen hierzulande um die Impfzahlen bei Influenza. Die Durchimpfungsrate liegt bei unter zehn Prozent, damit ist Österreich Schlusslicht in Europa, weiß Renee Gallo-Daniel vom Verband der Impfstoffhersteller. Und das, obwohl die Impfung sich eindeutig auszahlt, wie Berechnungen für den sogenannten Health Impact zeigen, durchgeführt vom Institut für Pharmaökonomische Forschung. Ein Euro, der in die Influenza-Impfung investiert wird, spart dem Gesundheitssystem drei und der Gesellschaft mehr als 20 Euro, etwa weil die Eltern eines erkrankten Kindes nicht in der Arbeit fehlen.

Einer von zehn

Aber nicht nur die Volkswirtschaft, auch jeder einzelne Patient profitiert, weiß Wenisch: "Das Risikoprofil eines Patienten bestimmt, wie heftig die Auswirkungen einer Grippe sein können." Denn für Menschen mit Vorerkrankungen kann eine Grippe fatal werden. Dazu gehören Patienten mit Bluthochdruck, Asthma, Arterienverkalkungen oder erhöhten Cholesterinwerten. "Dann kann die Grippe einfahren wie ein Blitz und zu Folgeschäden wie Schlaganfall oder Herzinfarkt führen", sagt Wenisch.

Das sind auch jene Fälle, die im Spital behandelt werden müssen, so der Mediziner. Er kennt die bitteren Zahlen: Von zehn Patienten, die in Wien wegen Grippe ins Krankenhaus aufgenommen werden, stirbt einer innerhalb von drei Monaten.

Drei Wege zum Infarkt

Vor allem fürs Herz kann die Grippe gefährlich werden und einen Infarkt verursachen – auf drei Wegen, wie Wenisch erklärt. Erstens können die Blutblättchen durch die Grippe klebriger werden und so Herzkranzgefäße, also die Leitungen, die das Blut in den Herzmuskel hineintransportiert, verlegen. Zweitens braucht das Herz von Grippekranken mehr Sauerstoff. Ist aber auch die Lunge betroffen, bekommt es zu wenig davon. Und drittens kann die Grippe auch Muskeln befallen und somit Ursache für eine Herzmuskelentzündung werden.

Bei Risikopatienten hat die Grippeimpfung eindeutige Vorteile, wie Studien zeigen. Bei jenen, die bereits einen Herzinfarkt hatten, sinkt durch die Impfung die Sterblichkeit bzw. das Risiko für einen erneuten Infarkt um 41 bis 66 Prozent. Bei Patienten mit Herzschwäche sinkt die Sterblichkeit um 18 Prozent. Grippe geimpfte Asthmapatienten verbringen 59 bis 78 Prozent weniger Zeit im Spital. Bei Risikopatienten für einen Schlaganfall sinkt das Risiko um 18 Prozent, tatsächlich einen zu erleiden. Und bei Menschen mit Bluthochdruck geht durch die Grippeimpfung die Sterblichkeit um zehn Prozent zurück. "Leider wird dieses Potenzial nicht genutzt. Es ist peinlich, dass Österreich das nicht hinbekommt", sagt Wenisch. In Schottland etwa – das Land ist in diesem Bereich führend – sind über 70 Prozent der Risikopatienten geimpft.

Genaue Zahlen dazu gibt es nicht, doch jedes Jahr zur Grippezeit steigt die Zahl der Todesfälle an, rund 1.500 bis 5.000 Menschen sterben in Österreich laut Schätzungen jährlich an den Folgen der Grippe, sagt Gerhard Kobinger von der Österreichischen Apothekerkammer.

Trotzdem Schnupfen

Wichtig sei, so Michael Meilinger vom Krankenhaus Nord – Klinik Floridsdorf, die Erwartungen der Patienten zu steuern. So müsse man ihnen erklären, dass sie trotz Grippeimpfung an banalen Infekten oder einem Schnupfen erkranken können. "Die Impfung ist dazu da, eine echte Grippe zu verhindern oder zumindest abzuschwächen", so Meilinger. Zudem müsse man Patienten aufklären, dass es nach der Impfung zu leichten Reaktionen des Körpers kommen kann, etwa zu einer etwas erhöhten Körpertemperatur. Empfohlen wird die Impfung etwa drei Monate vor Saisonstart, bester Zeitpunkt für die Impfung ist demnach Mitte bis Ende Oktober.

Influenzaviren verändern sich ständig. Hersteller müssen die Zusammensetzung des Impfstoffs daher immer wieder verändern. So kann es also passieren, dass der erhältliche Impfstoff nicht vollständig vor den grassierenden Viren schützt. Dennoch reduziert die Impfung aber das Erkrankungsrisiko. Im Schnitt liegt der Schutz laut Untersuchungen bei rund 60 Prozent – ohne Impfung erkranken 2,3 und mit Impfung 0,9 Prozent der Studienteilnehmer. Für heuer sind die Mediziner zuversichtlich, dass der Impfstoff zu den grassierenden Viren passt.

Kollaritsch versucht es bei skeptischen Patienten mit einem Beispiel, er erzählt ihnen: "Anschnallen im Auto schützt auch nur zu 70 Prozent vor einem tödlichen Autounfall." Dann fragt er sie: "Jetzt, wo Sie das wissen, schnallen Sie sich da nicht mehr an?" (Bernadette Redl, 9.10.2019)