Eine Mutter mit ihrem Kind im Camp al-Hol. (Symbolfoto)

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Nach langem Hin und Her war es so weit: Die zwei Kinder der mutmaßlich toten IS-Anhängerin Sabina S. wurden aus dem syrisch-kurdischen Lager al-Hol in Syrien geholt und in Wien ihren Großeltern übergeben. Die Familie ist erleichtert: Sie sind endlich in Sicherheit. Was erwartet nun die Kinder – und die Gesellschaft, in die sie kommen?

Landen Kinder von toten oder auch noch lebenden IS-Anhängerinnen in dem Heimatland ihrer Mütter, warten Herausforderungen, die für die Behörden Neuland bedeuten. Im Fall der beiden Waisenkinder wurde durch ein Gericht bereits vorab den Großeltern das Sorgerecht übertragen. Das Wiener Jugendamt war in diese Entscheidung nicht eingebunden, sagt Sprecherin Andrea Friemel zum STANDARD. Komme das Gericht aber ohne zusätzliche Einschätzung durch die Kinder- und Jugendhilfe aus, sei das auch korrekt so.

Gibt es in solchen Fällen Verwandte, allen voran Großeltern, die sich der Kinder annehmen wollen, haben sie gute Chancen, das auch tun zu können: Familienangehörige werden, sofern sie als geeignet erachtet werden, bevorzugt. Nur wenn das nicht möglich ist, springt der Staat ein.

Erste Schritte

Das Jugendamt arbeitet regelmäßig mit dem Verfassungsschutz zusammen: Das würde auch so sein, wenn IS-Anhängerinnen mit ihren Kindern nach Österreich kämen. "Wenn Eltern dann beispielsweise in Haft kommen, müssen wir jemanden finden, der die Kinder versorgt", sagt Friemel.

Doch das ist freilich nur der erste Schritt. Was bleibt, ist die Integration in die Gesellschaft. Im Fall der beiden Waisenkinder sei man "dabei, in Kontakt mit der Großmutter zu kommen", sagt Friemel. Und auch die Sozialarbeiter des Fonds Soziales Wien (FSW) stehen – obwohl rein formal gesehen nicht zuständig – laut einer Sprecherin "jederzeit bereit".

Aber ist es nicht bedenklich, dass sich die Großeltern um die Kinder kümmern? Also jene Personen, deren Tochter sich einst radikalisieren konnte? Nicht unbedingt, meint das Jugendamt. "Man darf Eltern nicht unter Generalverdacht stellen", sagt Friemel. Die Behörde hat Erfahrung, was Kinder radikalisierter Eltern betrifft: Bei vielen Familien funktioniere die Unterbringung bei den Großeltern gut. Wichtig sei, den Kindern nun Privatsphäre zu gönnen, sagt Friemel. Dazu zähle auch: keine Fotos in Medien. "Nur so können sie sich halbwegs normal im Kindergarten einleben."

Außenministerium will noch "Vorfragen" klären

Dem Vernehmen nach dürfte auch Bewegung in die Sache von Kindern kommen, die noch mit ihren Müttern in Syrien festsitzen. Es handelt sich um eine 20-jährige Wienerin und ihren Sohn sowie um eine 22-jährige Salzburgerin mit ihren beiden Kindern. Es wäre das erste Mal, dass Österreich IS-Anhängerinnen aus einem syrischen Flüchtlingslager heimholt. In beiden Fällen seien noch "offene Vorfragen" zu klären, teilte das Außenministerium dem STANDARD mit. Im Falle der Salzburgerin würden etwa DNA-Tests laufen, um die Identität der Kinder festzustellen, die in der Krisenregion geboren wurden.

Erst vor wenigen Monaten wurde das Konsulargesetz auf Initiative von Türkis-Blau geändert: Jenen Österreichern, die eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, soll kein konsularischer Schutz mehr gewährleistet werden. Die Bestimmung zielt auf jene Österreicher ab, die sich in den Dienst des IS stellten, denen man aber nicht nachweisen kann, dass sie eine Gefährdung für das Leben oder der Gesundheit anderer Personen darstellen.

Kindeswohl im Mittelpunkt

Laut Einschätzung von Hannes Tretter und Andreas Sauermoser vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte stößt dieser Ablehnungstatbestand aber auf erhebliche Bedenken in Hinblick auf Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). IS-Angehörigen drohe möglicherweise strafrechtliche Verfolgung, die nicht den Standards eines fairen Verfahrens entsprechen würde. Nicht auszuschließen sei auch, dass Frauen versklavt würden.

"In solchen Fällen den konsularischen Schutz zu verweigern, missachtet die konventionsrechtliche Pflicht des Staates, vor Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie vor Versklavung zu schützen", sagte Universitätsprofessor Tretter dem STANDARD. "Diese Rechte sind 'absolut' formuliert und dürfen nicht aufgrund weitgehend unbestimmter, vager Interessen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingeschränkt werden."

Frauen mit Kindern befinden sich zusätzlich in einer besonderen Situation. Das Außenministerium betont, dass das Kindeswohl im Vordergrund stehe und eine Rückholung von Kindern ohne die Zustimmung der Mütter nicht möglich sei.

Ähnliches ist in Deutschland zu beobachten: Das Berliner Verwaltungsgericht verpflichtete die Regierung, eine IS-Anhängerin mit ihren Kindern zurückzuholen. Weil die Regierung in Berufung ging, trifft das Oberverwaltungsgericht in Kürze eine letztinstanzliche Entscheidung. (Vanessa Gaigg, 5.10.2019)