Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj sind nach einem umstrittenen Telefonat von Ende Juli in Erklärungsnot.

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Die Washingtoner Causa prima, die Ukraine-Affäre, war am Freitag gleich um drei Volten reicher: Erstens nimmt die ukrainische Justizbehörde die Geschäfte der Gasfirma Burisma unter die Lupe – jenes Unternehmens also, das im Zentrum des Falles steht, der zur Untersuchung für ein Amtsenthebungsverfahren gegen den US-Präsidenten geführt hat.

Zweitens drängen die Demokraten mit Hochdruck darauf, die Herausgabe der Aufzeichnungen mehrerer Telefonate zwischen Donald Trump und anderen Staatschefs zu erzwingen. Diese könnten, so hofft die Opposition, den Beweis dafür erbringen, dass Trump seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj dazu drängte, gegen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden zu ermitteln sowie gegen dessen Sohn Hunter, der früher in der Ukraine geschäftlich tätig war. Das soll auch aus einer SMS des bisherigen Sondergesandten für die Ukraine, Kurt Volker, hervorgehen.

Und drittens schäumen die Demokraten inzwischen vor Wut, nachdem Trump in aller Öffentlichkeit auch China darum bat, das Gleiche zu tun. Er gibt sich überdies selbstsicher, dass ein derartiges Verfahren ohnehin scheitern würde. Welche Schlussfolgerungen die bisherigen Ereignisse zulassen:

Bidens Kandidatur ist beschädigt.

Für Donald Trump war die Ankündigung aus Kiew ein Geschenk. Der ukrainische Generalstaatsanwalt mag zwar darauf hingewiesen haben, dass er nichts von Beweisen gegen Hunter Biden, der zeitweise dort im Vorstand saß, wisse – es spielt keine Rolle mehr. Die Vorwürfe gegen den Gaskonzern waren bereits bekannt. Schon zweimal waren Ermittlungen gegen den Eigentümer wegen Geldwäsche, Bereicherung und Betrugs eingestellt worden, was allerdings nicht an Joe Biden (damals Vizepräsident der USA) lag, sondern am damaligen ukrainischen Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin: Dieser gehörte zu den korruptesten Gestalten in der Ära nach den Maidan-Protesten.

Antikorruptionsaktivisten waren gegen ihn Sturm gelaufen, weshalb er auf ukrainischen und internationalen Druck hin entlassen wurde. Die Bidens aber haben sich nach allem, was bisher bekannt ist, nichts zuschulden kommen lassen. Trotzdem bleibt etwas hängen von dem Schmutz, den Trump in ihre Richtung wirft. Fast drei Viertel der Amerikaner befürworten in Umfragen Untersuchungen gegen Joe Biden, während nur 41 Prozent glauben, Trumps Forderungen an die Ukraine seien illegal gewesen.

Die Ukraine-Affäre hat mit Russland mehr zu tun als mit der Ukraine.

Dass die Ukraine in Trumps politisches Machtspiel geriet, wurzelt natürlich zunächst einmal in den USA und den 2020 dort stattfindenden Wahlen. Trumps Verhalten erklärt sich aber auch mit dem Trauma, das ihn seit Amtsantritt begleitet: Er will den Vorwurf widerlegen, Russland habe ihm zu seinem Wahlsieg verholfen. Deshalb bezog sich der "Gefallen", um den der US-Präsident sein ukrainisches Gegenüber am Telefon bat, zunächst nicht auf die Bidens, sondern auf eine Theorie, die in den USA rechte Kreise ventilieren. Demnach soll Moskaus Beteiligung fingiert und die Server der Demokraten sollen von der Ukraine aus attackiert worden sein. Beides gilt als widerlegt.

Der Fall droht den Demokraten mehr zu schaden als Trump.

Auch wenn die Zustimmung zu Untersuchungen zur Ukraine-Affäre gegen Trump steigt: Die meisten Amerikaner sind nicht davon überzeugt, dass Trump aufgrund dessen des Amtes enthoben werden soll. Das Manöver der Demokraten ist riskant, weil sich im Senat selbst mit viel Optimismus höchstens eine Handvoll Republikaner finden lassen dürften, die sich gegen den Präsidenten stellen. 20 aber, wie sie für ein Impeachment notwendig wären, zeichnen sich nicht ab, solange nichts Drastisches passiert, die öffentliche Meinung erheblich kippt oder die Wirtschaft einbricht. Zudem zählen für die Republikaner weniger die allgemeinen – miesen – Umfragewerte als vielmehr Trumps Popularität bei den eigenen Wählern: Diese ist mit Werten zwischen 80 und 90 Prozent intakt.

Das politische System bietet offene Flanken.

Die Causa führt vor Augen, wie fragil das System, wie lückenhaft die Kontrolle über die Exekutive ist, wenn sie sich selbst überprüfen soll. Der Fall drohte offenbar im Weißen Haus unter den Teppich gekehrt zu werden, wo der Whistleblower seine Beschwerde über das Telefonat ursprünglich deponiert hatte. Diese geriet nur deshalb an die Legislative und später an die Öffentlichkeit, weil sich der als CIA-Mitarbeiter enttarnte Beschwerdeführer an die CIA wandte, und weil anschließend der Generalinspekteur der Geheimdienste trotz Weigerung des Justizministeriums, die Beschwerde weiterzuleiten, den Kongress informierte.

Trumps Vorgehen erinnert mehr an Bill Clinton als an Richard Nixon.

Parallelen zu Richard Nixon scheinen augenfällig, aber: Erstens lagen zwischen dem Auffliegen der Watergate-Affäre und Nixons Rücktritt zwei Jahre, in denen sich die Informationen verdichteten. Außerdem hat Trump Bill Clintons Taktik übernommen, indem er den Skandal auszusitzen versucht und die Attacken auf die Gegenseite intensiviert. Im Gegensatz zu beiden Vorgängern muss Trump zu dem Zeitpunkt, an dem ein Impeachment greifbar wird, um eine zweite Amtszeit kämpfen. In seinem Fall haben wohl die Wählerinnen und Wähler das letzte Wort über seinen Verbleib. (Anna Giulia Fink, 4.10.2019)