Ich stehe in einem Bällebad, aus dem man (weil es sich in einer gläsernen Auslage befindet) raus auf die Straße sieht. Was auch bedeutet, dass man natürlich von der Straße zurück ins Bällebad schauen kann. Es ist die erste Station des eben eröffneten Selfie-Museums Österreichs – aber ich glaube: Wenn man lange genug hier herumtollt, braucht man gar nicht mehr selbst Fotos zu machen. Weil: Ein Erwachsener in einem Bällebad? Wie in einem Ikea-Kinderland? Und das mitten in der Wiener Innenstadt? Klar, Bällebäder sind der heiße Scheiß. Beim Forum Alpbach hat es fast schon Tradition, sogar die Neos hatten bei ihrem Wahlkampfabschluss eines. Dieses Herumgeschupfe mit den Bällen kam mir zwar schon bei denen etwas komisch vor, aber wenn man dann plötzlich selbst in einem sitzt, noch dazu alleine und mitten in der Auslage, wo jeder, der vorbeigeht, reinsehen kann, ist das ein bisschen Trump, nämlich "so sad".

Wer bin ich? Wie sehe ich mich selbst? Auch wenn das arg klingt, ich glaube, wenn man sich Mühe gibt, kann man das hier im "nofilter_museum" herausfinden.

Komisch, in der Auslage in einem Bällebad zu sitzen.
Foto: Heribert Corn

Dem Plastikflamingo an die Gurgel

Das letzte Mal, dass ich mich fotografiert habe, war 2012. Ich saß im Bett meines damaligen WG-Zimmers, ließ mich von einer Stehlampe lichttechnisch in Szene setzen und hatte einen Schal um, obwohl es gar nicht so kalt war. Wer ich damals war, das weiß ich nicht, aber wenn ich mich an die Galerie in meinem Handy erinnere, war ich auf jeden Fall viele. Ich habe damals so viele (fast idente) Fotos von mir selbst gemacht, dass ich zig Mal runterscrollen musste, bis die Miniaturen meines Gesichts endlich verschwunden waren. Eines von den vielen habe ich dann auf Facebook gestellt und dreizehn Likes bekommen. Seitdem habe ich mich mit dem Thema Selfies nur noch sehr passiv auseinandergesetzt.

Wenn es aber dann ein Selfie-Museum gibt, ist das ein guter Grund, trotzdem wieder anzufangen. Das erste Foto an diesem Tag knipse ich, als nur noch mein Kopf aus den Bällen ragt. Dass ich das vor einem Mann mit seinem Beagle mache, die gerade die Vorlaufstraße entlangspazieren, tut für das Bild nichts zur Sache, ich bin nicht bekannt für extreme Mimik. Aber unangenehm ist das alles schon ein bisschen. Das Problem ist, dass Selfies für mich immer etwas Beschämendes haben. Ein Grund könnte sein, dass ich noch nie jemanden gesehen habe, der beim Selfie-Machen nicht komplett bescheuert ausgesehen hat. Wenn ich heute etwas mitnehmen möchte, muss ich diese Gedanken loswerden.

Zum Glück nicht in der Auslage, sondern im Untergeschoß.
Foto: Heribert Corn

Zum Glück wird es gleich ein bisschen weniger knifflig. Das Auslagen-Bällebad ist nämlich die einzige Station des nofilter_museums, die man von außen einsehen kann. Bei den anderen 23, verteilt auf 500 Quadratmetern und drei Ebenen, ist man unter sich. Im unteren Stockwerk, wo die Tour weitergeht, sind gleich wieder zwei Ballbäder aufgebaut. Im blauen links liegt ein riesiger aufblasbarer bunter Lutscher, in dem mit den rosafarbenen Bällen rechts daneben stehe ich. Ohne Straße, ohne Mann und ohne Beagle fühlt sich das besser an. Ich möchte zeigen, dass ich das hier ernst nehme, und schnappe mir einen aufblasbaren Schwimmreifen in Form eines Flamingos und mache ein gemeinsames Foto, das ein bisschen danebengeht, weil es, das erkenne ich am Ergebnis auf meinem Telefon, gar nicht so nett aussieht, wenn man ein Tier, selbst eines aus Plastik, an der Gurgel packt.

Mit mir gehen zwei Menschen von Station zu Station und passen auf, dass ich eh Spaß habe. Petra und Nils haben sich das alles überlegt und mit Architekten und Designern umgesetzt. In sechs Monaten wird das Museum schließen – und vielleicht an einem anderen Ort erneut eröffnen.

Zu wenig glücklich

Unser Start war nicht so einfach. Gleich zu Beginn hat mir Petra schon vorgeworfen, dass ich auf den Fotos zu wenig happy aussehe. Wir kommen zu einer Station, bei der ein großer und ein riesiger Plüschbär an einem Tisch sitzen und Honig jausnen. Die Bärenküche ist mit einem Herzerlmuster austapeziert. Es klingt vielleicht eigenartig, aber im Vergleich zum einsamen Herumtollen im Bällebad fühlt sich die Eingliederung in eine Stoffbärenfamilie ziemlich normal an. Wer ist schon gern allein?

Im "nofilter_museum" gibt es Glitter, Plüschbären – dafür erwartet man von den Besuchern Happyness.
Foto: Heribert Corn

Wenn dein Leben nervt, streu Glitzer drauf, ist so ein für Instagram entworfener Sinnspruch. Mir geht es gut, aber an den fünf Kilo Glitter, die bei der Station um die Ecke auf dem Boden liegen, kann ich trotzdem nicht einfach so vorbeigehen. Je länger ich da bin, je mehr ich fotografiere, umso mehr merke ich, wie ich beginne, weiter vom simplen Selfie wegzudenken. Was könnte darunter geschrieben stehen? Gibt es eine Botschaft, die ich mithilfe der Hintergründe verbreiten will? Ein Thema, auf das ich aufmerksam machen könnte?

"Be part of the art" ist der Claim, mit dem für dieses Museum geworben wird. Mir gefällt die Selbstironie. Ich mache ein Foto neben einem hin- und herwackelnden Schiefen Turm von Pisa und später in einem gelb ausgemalten Eck, wo ich auf einer Schaukel sitze und im Hintergrund in Versalien der Satz WHEN LIFE GIVES YOU LEMONS MAKE LEMONADE an der Wand steht.

Irgendwann fällt die Hemmung

Irgendwann innerhalb der vergangenen Dreiviertelstunde habe ich die Hemmung verloren, mein Handy einfach vor meinen Kopf zu halten und es so lange herumzuschwenken, zu drehen, zu kippen und daran herumzufummeln, bis ich den Winkel habe, mit dem ich zufrieden bin.

Wie eine Mischung aus Elster und Nachtfalter zieht es mich vor allem zu den Stationen, die schimmern, die leuchten, in denen sich etwas spiegelt. Ein paar Minuten später stehe ich in einem kleinen Raum, vielleicht so groß wie ein Aufzug für vier, der komplett mit zerknitterter silberner Folie ausgekleidet ist. Ich mache die Tür hinter mir zu. Kaum bin ich alleine, könnte ich mir ein Leben als Influencer ganz gut vorstellen.

Wenn man diese Karriere frisch beginnt, gibt es ein paar Möglichkeiten, wie man sich auf Instagram präsentiert: Ich könnte jetzt zum Beispiel ernst sein und darauf hinweisen, dass wegen Alufolie Regenwälder abgeholzt werden. Ich könnte aber genauso gut einfach mein Shirt ausziehen und schreiben: "Bleibt so länger frisch." Oder, das wäre fast das Einfachste, ein Foto machen, das so super artsy ist, dass sowieso niemand mehr erkennt, was ich überhaupt sagen will.

"Kaum alleine, kann ich mir das Leben als Influencer ganz gut vorstellen."
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Vielleicht bin ich von den vielen Wahlkämpfen dauergeschädigt, aber während ich mich durch das Museum bewege, kommen mir bei manchen Stationen politische Gedanken, die durch die Trivialität der Symbolik leicht verbreitet werden könnten. Zumindest in kleinem Kreis. In einem unbeobachteten Moment schleiche ich mich zurück zu einem Wattewolkenhimmel vor quietschrosa Hintergrund, zupfe heimlich die Wolken zurecht und schicke das Foto an Freunde, die immer noch lieber mit dem Auto von Vorarlberg nach Wien fahren als mit dem Zug.

Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Das nofilter_museum kann in den nächsten Monaten für Instagram das werden, was Madame Tussauds für Menschen ist, die noch auf Facebook sind, oder der Bahnsteig 9 3/4 an der King's Cross Station in London für ... ach, lassen wir das. Es ist auf jeden Fall deutlich mehr als diese Fotoboxen, die oft auf Hochzeiten oder Weihnachtsfeiern herumstehen. Weil hier natürlich deutlich mehr geht, als sich einen riesigen Schnurrbart und eine Sprechblase mit "GEIL" vor das Gesicht zu halten.

Foto: Heribert Corn

Auf dem Weg nach Hause öffne ich die Fotogalerie auf dem Handy. Sie sieht so ähnlich aus wie damals vor sieben Jahren. Zentimeterweise in Viererspalten kleine Fotos meines Gesichts auf dem Display. Ein bisschen mehr Farbe ist diesmal dabei. Beim Nach-vorne-Beugen fallen mir in der Straßenbahn goldene Glitterstreifen aus dem Kragen des Pullovers. Als ich sie fotografieren möchte, erschrecke ich vor meinem eigenen Gesicht auf dem Display. Die Frontkamera war noch aktiv.

Vielleicht gewöhnt man sich doch nicht an alles. Nicht einmal an das eigene Gesicht.
(Christoph Wagner, 4.10.2019)