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"Die Küche ist das Zentrum unserer Familienzelle. Hier essen, diskutieren und spielen wir gemeinsam."

Foto: Getty Images/Violeta Stoimenova

Alexander und ich kennen uns schon seit 26 Jahren. Wir haben zwei Kinder miteinander. Vor vier Jahren haben wir gemerkt, dass wir als Paar nicht mehr zueinanderfinden, und haben uns für eine Trennung entschieden. Da wir uns aber immer sehr gut verstanden haben, wollten wir uns nicht gleich räumlich trennen, sondern wagten den Versuch Eltern-WG. Unser Sohn war zu dieser Zeit 22 Jahre alt und sehr viel auf Reisen, daher war es leicht möglich, die Wohnung so aufzuteilen, dass jeder sein eigenes Zimmer hat. Auf diese Weise konnten wir gemeinsam mit unserer damals zwölfjährigen Tochter weiterhin unter einem Dach leben.

Von Gemeinschaftsspielen und Streiterei

Unser Alltag unterscheidet sich wahrscheinlich gar nicht so sehr von dem einer klassischen Familie. Morgens sitzen wir alle am Tisch und frühstücken. Wenn die Tochter dann in die Schule geht, bleiben Alexander und ich häufig noch länger sitzen, trinken Kaffee und quatschen. Wir essen überhaupt, so oft es geht, gemeinsam. Man kann also sagen, die Gemeinschaftsräume (Küche und Wohnzimmer) werden auch viel gemeinsam genutzt. Abends spielen wir gern mit unserer Tochter "Mensch ärgere dich nicht" oder "Skipbo", und jetzt, wo es draußen immer kühler wird, versammeln wir uns wieder häufiger im kuscheligen Wohnzimmer vor dem Kamin und lesen.

Das klingt jetzt alles total harmonisch – ist es auch großteils –, aber wie in jeder WG gibt es natürlich auch bei uns gewisse Streitpunkte. Meistens kommt es beim Thema Haushalt oder Kinder zu Diskussionen. Ich habe 15 Jahre lang allein die Versorgung der Kinder und den Haushalt übernommen, irgendwann habe ich dann aber klar formuliert, dass ich das nicht mehr möchte. Das war eine Umstellung für alle, und es hat lange gedauert, bis wir uns eingespielt haben, aber jetzt funktioniert es.

Vertrauen und Wertschätzung

Eine Familientherapeutin begleitete uns durch den Prozess der Trennung bis hin zum gemeinsamen Leben in einer WG. Auch für unsere Tochter war das nicht immer leicht zu verstehen, aber heute sagt sie selbst, dass sie sehr froh über unsere Entscheidung ist, da sie niemals zwischen Mama und Papa hin- und her pendeln musste.

Aber nicht nur unsere Tochter profitiert von der erhaltenen Familienzelle: Ich lebe weiterhin mit einem Menschen zusammen, den ich so gut kenne wie keinen anderen. Zwischen Alexander und mir gibt es ein tiefes Vertrauen und viel Wertschätzung. Warum muss man immer getrennte Wege gehen, wenn es als Liebespaar nicht passt? Wir leben in einer Zeit, in der alle möglichen Familienkonstellationen möglich sind. Wir haben diese Art des Zusammenlebens auch unseren Verwandten und Freunden immer als sehr modernes Konzept verkauft, das es wert ist es auszuprobieren. Heute kann ich sagen: Ich mag dieses Lebenskonzept.

Gemeinsame Wochenenden und Urlaube

Unsere Wochenenden gestalten sich immer unterschiedlich. Zurzeit bin ich total gern zu Hause und genieße es, wenn Alexander unterwegs ist. Jeder, der in einer WG wohnt oder gewohnt hat, kennt wahrscheinlich das Gefühl. Man darf endlich Wäschehaufen in der Ecke liegen lassen und muss die Küche nach dem Frühstück nicht sofort aufräumen.

Es gibt aber auch viele Wochenenden, an denen Alexander und ich etwas gemeinsam unternehmen. Wir teilen eine große Leidenschaft fürs Bogenschießen. Wenn wir also die Zeit und ein verfügbares Auto haben, fahren wir gern aus der Stadt raus und gehen unserem gemeinsamen Hobby nach. Früher waren noch unsere Kinder dabei; mittlerweile machen wir das zu zweit.

Wenn wir meine Eltern in Vorarlberg besuchen, fährt Alexander ebenfalls mit. Es hat sich also auch dahingehend nicht viel verändert. Einmal im Jahr gibt es sogar einen Urlaub, an dem dann die ganze Verwandtschaft teilnimmt. Dann fahren wir gemeinsam mit Tanten und Großeltern an den Attersee. Das ist laut, lustig, schräg und lebendig. Es ist schön, und jeder liebt diese Woche. Also warum solche Traditionen aufgeben?

Klare Regelung mit neuen Partnern

Alexander und ich haben bei der Trennung zwei klare Regeln aufgestellt: Erstens werden neue Partner nicht in die gemeinsame Wohnung gebracht. Zweitens zu unserer Tochter gegenüber immer ehrlich sein und sie niemals anlügen, was neue Partner angeht. Alexander hat mittlerweile auch eine neue Freundin, und natürlich war das für unsere Tochter nicht einfach. Das sehe ich aber als völlig normal. Egal wie eine Trennung aussieht, es gibt immer Reibungsflächen und Personen, die sich benachteiligt fühlen.

WG ohne Ablaufdatum

Wir haben beschlossen, dass wir auf jeden Fall die Wohngemeinschaft fortsetzen, bis unsere Tochter die Matura hat. Alexander und ich haben schon öfter gescherzt, dass wir zwei Deppen vielleicht doch noch miteinander alt werden. Wir kennen einander so gut und haben so viele gemeinsame Interessen – im Endeffekt kann niemand sagen, was die Zukunft bringt. (Familienprotokoll: Nadja Kupsa, 8.10.2019)