Trotz geringer inhaltlicher Schnittmengen zwischen Türkis und Grün hält Johannes Rauch eine Koalition für möglich. Politische Kompromissfähigkeit sei eine Tugend.

Foto: Regine Hendrich

Seit den Wahlerfolgen beider Parteien vergangenen Sonntag wird über die Chancen einer türkis-grünen Koalition auf Bundesebene diskutiert. Einer, der dabei seine Erfahrungen einbringen kann, ist der Vorarlberger Verkehrslandesrat Johannes Rauch von den Grünen. Im Ländle sitzt er seit 2014 in einer Koalition mit der ÖVP.

STANDARD: Sollen die Grünen eine Koalition mit der ÖVP auch auf Bundesebene probieren?

Rauch: Es wäre vermessen, die Situation in Vorarlberg mit der gesamtösterreichischen zu vergleichen, sowohl was die Kompetenzen als auch was den persönlichen Umgang betrifft. Vorarlberg ist klein, man kennt sich untereinander. Und das Wichtigste ist sicherlich, dass es zwischen dem Landeshauptmann (Markus Wallner, Anm.) und mir ein gegenseitiges Vertrauen gibt.

STANDARD: Vertrauen kann sich ja auch zwischen Sebastian Kurz und Werner Kogler entwickeln.

Rauch: Bislang hat Kurz es nie geschafft, mit anderen Parteien eine vernünftige Gesprächsbasis herzustellen. Zu uns nicht, aber auch nicht zur SPÖ oder zu den Neos. Die Kurz-ÖVP hat sich hermetisch abgeriegelt, einzig zur FPÖ hat Kurz einen Draht. Doch die Sondierungsgespräche sind genau dazu da, eine mögliche Vertrauensbasis für die Zukunft auszuloten.

STANDARD: Vertrauensbasis hin oder her, beim Programm ist man meilenweit entfernt. Im neuen Koalitionsrechner des STANDARD hat keine Partei so wenige inhaltliche Schnittmengen mit der ÖVP wie die Grünen – 17 Prozent. Wie soll das zusammengehen?

Rauch: Das wird natürlich schwierig. Aber ich zitiere gerne Helmut Schmidt: "Die Demokratie lebt vom Kompromiss. Wer keine Kompromisse machen kann, ist für die Demokratie nicht zu gebrauchen." Politik ist ein Handwerk, bei dem man sich in die Details verbeißen muss.

STANDARD: Wie ginge das zum Beispiel bei der Ökologisierung des Steuersystems? Die Grünen wollen eine CO2-Steuer, die ÖVP trommelt, dass es mit ihr keine neuen Steuern geben wird.

Rauch: Auch hier muss die Umsteuerung insgesamt passen, man sollte sich nicht auf bestimmte Einzelmaßnahmen versteifen. Eines ist aber klar: Die ÖVP wird nie eine Klimaschutzpartei werden. Was die aber können, ist ökonomisch denken. Und wenn man sich nur die Zahlen anschaut, wird man erkennen, dass wegen der Verfehlung der Klimaziele gewaltige Strafzahlungen drohen, sofern Österreich nicht endlich anfängt, in den Klimaschutz zu investieren. Allein deswegen wird sich die ÖVP bewegen müssen.

STANDARD: Ist eine ökosoziale Steuerreform eine Koalitionsbedingung?

Rauch: Bedingungen werden jetzt einmal gar keine aufgestellt, wir sind ja noch nicht einmal in Verhandlungen. Solche Bedingungen setzten nur einen selbst unter Druck und schmälerten die Verhandlungsspielräume.

Von grünen Koalitionsbedingungen an die ÖVP will Rauch vorerst nichts wissen.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: In der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt es auch kaum Gemeinsamkeiten. Für Türkis sind Vermögens- und Erbschaftssteuern tabu, für die Grünen sind sie ein Gebot der Gerechtigkeit. Die Kürzung der Mindestsicherung verurteilte Ihre Partei als "Armutsförderungsgesetz". Besonders die Wiener Grünen gelten hier als weit links, wie will man diese von einer Koalition überzeugen?

Rauch: Dass die Grünen in einen West-Flügel und einen Wien-Flügel geteilt sind, halte ich für eine Legendenbildung. Es stimmt heute nicht, und es hat schon bei den Verhandlungen mit Schüssel im Jahr 2003 nicht gestimmt. Damals ist es nicht an vermeintlichen Wiener Fundis gescheitert, sondern an konkreten inhaltlichen Punkten, etwa den Eurofightern. Die Kollegen aus Wien haben eine lange Regierungserfahrung mit einem mächtigen Partner. Sie kennen mit der Wiener SPÖ strukturell ähnliche Herausforderungen wie wir mit der ÖVP in Vorarlberg und sind genauso verhandlungsbereit wie die Grünen im Westen.

STANDARD: Sie waren 2003 im grünen Verhandlungsteam. Was sind heute die größten Unterschiede im Vergleich zu damals?

Rauch: In den 16 Jahren ist alles viel schneller und komplexer geworden. Man braucht viel mehr Expertise von außen, um sattelfest zu sein. Für uns ist allerdings besonders hilfreich, dass wir in der Zwischenzeit schon in vielen Bundesländern mitregiert haben. Wir wissen beispielsweise nun besser, wie man Budgetverhandlungen angehen muss.

STANDARD: Wäre es auch möglich,dass man absichtlich ein lückenhaftes Koalitionsabkommen schreibt und kritische Themen dem freien Spiel der Kräfte überlässt?

Rauch: Ja, auch über diese Variante kann man diskutieren. Man muss nicht alles festzurren. In Vorarlberg konnten wir uns mit der ÖVP nicht einigen, ob Schwangerschaftsabbrüche in Landeskrankenhäusern angeboten werden sollen. Darum haben wir vereinbart, dass wir die Abstimmung im Landtag freigeben, und somit gegeneinander gestimmt. So etwas wäre auch im Nationalrat möglich und würde überdies den in Österreich sehr schwach entwickelten Parlamentarismus aufwerten. (Theo Anders, 7.10.2019)