Der Dirigent Christian Thielemann weiß, wie es klingen soll.

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Zu Österreich befragt, dürfte Christian Thielemann derzeit ambivalente Ansichten äußern. Mit Salzburg lief es zuletzt ja nicht so toll: Das Verwirrspiel um die Osterfestspiele mit dem Titel "Kabale und Klaus" (Regie: Wilfried Haslauer) fand für den 60-Jährigen ein frustrierendes Ende. Den Lohengrin darf er mit den Dresdnern 2022 noch machen, aber dann ist Schluss.

In Wien laufen die Dinge runder. An der Staatsoper leitet Thielemann ab Donnerstag wieder die Jubiläumsproduktion vom Mai, Strauss’ Frau ohne Schatten. Und mit den geliebten Philharmonikern wird die Gesamtaufnahme der Bruckner-Symphonien vorangetrieben. Nach einer feinfühligen Interpretation der zweiten Symphonie steht nun die achte an, und zwar gleich acht Mal: in Wien und in Fernost. Ende des Monats vertschüssen sich die Philharmoniker mit Thielemann und Andrés Orozco-Estrada für drei Wochen in die Länder des Lächelns.

Lockerheit und Licht

Aber erst einmal sind die Vereinsmusiker noch alle da und präsentierten am Samstag im Musikverein eine spannende Achte in der Haas-Fassung. In der Kopfsatz-Durchführung brachte Thielemann mit seiner energischen "Eins" von unten Schub in die Chose, die dynamischen Höhepunkte gerieten nie behäbig oder klotzig. Im Scherzo wurde sogar bei dreifachem Forte einer swingenden Lockerheit gefrönt – aber warum eigentlich?

Die Philharmoniker machten sich, von winzigen Schnitzern abgesehen, zum Präzisionswerkzeug des kapellmeisterlichen Gestaltungswillens. In Summe zeigte sich die Achte in Thielemanns Deutung so klar ausgeleuchtet wie die Bühne. Bei so viel tagheller Durchdringung blieb jedoch die metaphysische Dimension des Gottesanbeters Bruckner unterbelichtet: die Gegensätze zwischen apokalyptischer Vernichtung und religiöser Verzückung.

Kaum Taumeln, kaum Flirren

Bei Karajan erinnert das einsame Querflötchen nach einem Tutti-Donner an einen zarten Lichtstrahl, der durch eine pechschwarze Gewitterfront bricht, an die fragile menschliche Seele nach einem massiven Attentat. Das spielte es bei Thielemann nicht. Die flirrenden Streicherfiguren zu Beginn des Scherzos, die an durchsichtige Geisterschwärme erinnern können, hatten eine diesseitige, eckige Faktur. Das trunkene Taumeln zu Beginn des Adagios geriet nüchtern.

Der Chefkontrolleur und Feinmechaniker der Gefühle wurde vom Abonnementpublikum jedoch auf kontrollverlustreiche Weise bejubelt: Oktoberfeststimmung im Musikverein. (sten, 6.10.2019)