Lange Gesichter bei der SPÖ-Wahlparty. Das schlechteste Ergebnis seit eh und je war nicht zu feiern.

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Im Gastkommentar plädieren 23 SPÖ-Mitglieder für ein "neues Hainfeld".

Nach dem desaströsen SPÖ-Wahlergebnis sind viele Stimmen in unserer Partei laut geworden. Von Landeshauptmann Peter Kaiser über SJ-Chefin Julia Herr bis zum ehemaligen Bundesgeschäftsführer Max Lercher werden Forderungen nach einem Neuanfang in der Sozialdemokratie erhoben. Die Führungsgremien haben hingegen erneut gezeigt, wie Neuanfang nicht geht: mit Realitätsverweigerung statt ehrlicher Fehlersuche; mit übereilten Hinterzimmerentscheidungen statt demokratischer Debatte; mit inhaltlicher und strategischer Uneindeutigkeit statt klarer Ansagen.

Alles wie immer

Die Reaktion ist nach den zahlreichen Wahlniederlagen der letzten Jahre immer gleich: eine kurze rhetorische Ankündigung, dass jetzt alles anders werden müsse. Die strenge Mahnung, dass man darüber aber nicht groß diskutieren dürfe, weil nun geschlossenste Geschlossenheit gefragt sei. Nach ein paar Wochen kehrt dann alles in den Normalbetrieb zurück.

Ein "Weiter so" darf es nach dieser Wahl endgültig nicht mehr geben. Eine Zusammenarbeit mit Sebastian Kurz scheitert nicht an der "persönlichen Chemie" zwischen Kurz und Pamela Rendi-Wagner. Es scheitert daran, dass Kurz kompromisslos Politik für seine superreichen Gönner machen möchte, und dafür kann er SPÖ und Gewerkschaften nicht brauchen. Am Beginn des Neuanfangs steht daher die Einsicht, dass es mit Kurz keine "konstruktive Zusammenarbeit" gibt. Sondern nur Unterwerfung oder kämpferische Opposition.

Oppositionsrolle annehmen

Mit ihrer Oppositionsrolle hadert die SPÖ, seit sie 2017 das Kanzleramt verloren hat. Es ist höchste Zeit, dass sie diese von den Wählerinnen und Wählern zugeordnete Aufgabe endlich annimmt.

Ein Neuanfang bedeutet für uns daher, dass die Sozialdemokratie ebenso kompromisslos an der Seite der arbeitenden Menschen steht wie Kurz an der Seite des großen Geldes. Und das muss spürbar sein. Das Problem an den Luxusuhren und Sportwagen unserer Spitzenfunktionäre ist nicht, dass sie ihnen jemand neidet. Das Problem ist der Kontrast zur gefühlten Teilnahmslosigkeit in Bezug auf die alltäglichen Existenzsorgen von Menschen, die jahrzehntelang als rote Kernschichten galten.

Ein Neuanfang bedeutet für uns, dass die SPÖ den Privilegien des Geldadels den Kampf ansagt, statt sich mit der Verteilung der weniger werdenden Posten zu beschäftigen. Die sozialdemokratische Idee ist in diesen Tagen aktuell wie nie: Menschliche Bedürfnisse über die Profitlogik zu stellen und der Macht des großen Geldes die Macht der vielen gegenüberzustellen – das ist gerade in Zeiten wachsenden Arbeitsdrucks und zunehmender Ungleichheit nötig. Dazu muss die SPÖ über den nationalen Tellerrand schauen.

Mobiles Kapital

Kapital ist international mobil, die Demokratie operiert immer noch innerhalb von Nationalstaaten. Um die Demokratie gegenüber Wirtschaftsinteressen zu stärken braucht es politische Kooperation. Das wäre der Kern sozialdemokratischer Europapolitik anstelle der Huldigungen "europäischer Werte".

Wir müssen eine demokratische Mitmachbewegung werden, in der Menschen sich für ihre Interessen zusammenschließen. Statt darüber zu klagen, dass die Klimaschutzbewegung "nur den Grünen hilft", müssen wir uns fragen: Wie können wir eine treibende Kraft sein, um den sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft umzusetzen?

Ein Neuanfang bedeutet, dass wir die Mitglieder über unser Führungspersonal, über Regierungsbeteiligungen und zentrale politische Fragen entscheiden lassen; dass wir eigene Kommunikationskanäle stärken, statt uns diversen Medienzaren anzudienen; dass wir als Partei kampagnenfähig werden, statt teures Geld in erfolglose Agenturen und Berater zu stecken.

Begeisterung auslösen

Dabei haben engagierte Rote in den letzten Jahren im Kleinen immer wieder gezeigt, dass sie es könnten: Angestoßen von einer Basisinitiative sagte die SPÖ Wien dem kleinen Glücksspiel erfolgreich den Kampf an. Eine SPÖ-Kampagne des damaligen Parteimanagers Max Lercher gegen AMS-Kürzungen und eine vom sozialdemokratischen Medium kontrast.at initiierte Debatte darüber verhinderten maßgeblich die Abschaffung der Notstandshilfe. Kommunalpolitiker in ganz Österreich zeigen tagtäglich, wie sozialdemokratische Politik im Kleinen aussieht. Diese Aktivitäten beweisen, dass es Alternativen dazu gibt, auf der Opferbank abzuwarten. Wir können begeistern und Vertrauen gewinnen.

Misserfolgsroutinen

Diese Kraft steckt in unserer Bewegung, wenn wir sie zulassen, statt sie auszubremsen, um nicht in den gewohnten Misserfolgsroutinen gestört zu werden. Für einen Neuanfang ist ein Reformparteitag, ein "neues Hainfeld", ein unverzichtbarer Startpunkt. Wir müssen unsere Partei umbauen. Wenn die Parteispitze das noch nicht verstanden hat, müssen wir selbst damit beginnen. (Martin Amschl et al., 6.10.2019)