Ein Gartenbeet als Panzer: Schutz oder Bedrohung? Junge ukrainische Kunst reflektiert in Kiew ihre Verhältnisse.

Pinchuk Art Centre

Hoch ragen die dunklen Statuen auf, riesige Kriegerfiguren, auf denen eine nackte Frau klettert. Im Wiener Semperdepot zeigt die Ausstellung Between Fire and Fire, dass die jüngste ukrainische Kunst vieles ist, aber nicht geschichtsvergessen. Am Umgang mit den Sowjetmonumenten arbeiten sich gleich mehrere Künstler ab, auch die Proteste des Euromaidan und der Krieg in Donbass sind zentrale Themen.

Die Schau ist ein Höhepunkt des bilateralen Kulturjahres 2019, das als Teil einer Imagekampagne für die Ukraine den Ruf des Landes als Kulturnation stärken will. Betrieben wird sie vom Ukrainian Institute, das zum ukrainischen Außenministerium gehört. Die offizielle Mission ist leicht verständlich: Die Ukraine ist im Aufbruch begriffen, der Krise nach 2014 zum Trotz ist die Kunstszene aufgeblüht.

Spaltung und Boykott

Spricht man in Kiew mit Kulturschaffenden, klingt das oft anders. Die Normalität, das Schritthalten mit dem internationalen Kunstdiskurs, scheint weit entfernt. Immer wieder kommt es zu Spaltungen der Szene, zu Boykotts einzelner Institutionen. Die Kuratorin Kateryna Filyuk forciert die Internationalisierung, vermisst aber das Eigenengagement mancher Künstler: "Es ist typisch, sie sprechen kein Englisch und haben keine Website", sagt sie.

Doch es mangelt auch an der Infrastruktur. Öffentliche Förderungen gibt es kaum, folglich keine Projekträume, die ein unabhängiges Ausstellungsprogramm machen. Ihren Platz füllen kommerzielle Galerien, die meist von Geschäftsleuten betrieben werden. Der Kunstmarkt ist erst im Entstehen begriffen, die ukrainische Wirtschaft erholt sich nur langsam.

Die Kuratorinnen Maria Lanko und Lizaweta German haben 2018 die Galerie The Naked Room gegründet, das Kapital stellte der Regisseur Marc Wilkins. Ein Risiko in der aktuellen Situation. Noch zahlen sie sich nur unregelmäßig ein Gehalt aus, internationale Messen können sie sich nicht leisten. Sie setzen Hoffnung in die neue Regierung, obwohl niemand weiß, wie deren Kulturpolitik aussehen wird. Dafür schwärmen sie von Technopartys, die seit 2014 die Realitätsflucht ermöglichen – weg von den Aggressionen, die ständig in der Luft liegen.

3000 Besucher täglich

Auf die Frage, ob sie sich als Kulturschaffende von der Politik benutzt fühle, lacht German bitter: "Ich würde mich liebend gerne instrumentalisieren lassen." Erhielte die Szene endlich Aufmerksamkeit, kämen vielleicht überfällige Reformen und Förderungen, sagt sie. Doch die glanzvolle ukrainische Außendarstellung erfüllt sich vor Ort nicht.

Wie groß das Interesse an zeitgenössischer Kunst ist, zeigt das vom Oligarchen Wiktor Pintschuk finanzierte Pinchuk Art Centre. Bis zu 3000 Besucher kommen täglich, Schlangen um das Haus sind keine Seltenheit. Grund dafür ist auch der Security-Check am Eingang, der vor Angriffen nationalistischer Gruppen schützt. Gerade präsentiert die junge Kuratorin Alexandra Tryanova ihre erste Ausstellung Ain't Nobody's Business, die internationale Werke mit ukrainischen konfrontiert und sich um Themen wie Sex, Macht und Clubkultur dreht. Das sei allerdings nur dank der Sicherheitsvorkehrungen möglich.

Schauplatzwechsel: Charkiw. Bis Ende Oktober steht die zweitgrößte Stadt des Landes nahe der russischen Grenze im Zeichen der zeitgenössischen Kunst. Die "Zweite nationale Biennale für junge moderne Kunst" zeigt, wie ukrainische Künstler zwischen 16 und 35 Jahren arbeiten. Dass die Stadt nur 270 Kilometer entfernt von den Separatistengebieten liegt, spürt man kaum. Das einzige Indiz im Stadtbild ist der Mannschaftsbus von Schachtar Donezk. Seit Kriegsbeginn muss der Fußballverein seine Heimspiele auswärts bestreiten – an diesem Tag ist Man City zu Gast.

Konflikt im Vorgarten

Die Heimatlosigkeit zieht sich als roter Faden durch die Biennale. Unter dem Motto "Looks like I'm entering our garden" finden sich viele metaphorische Auseinandersetzungen mit der Spaltung des Landes. Der Garten wird zum Sehnsuchtsort, zum Ort der Besinnung in Zeiten globaler Unruhe. Wenngleich manche Kunst das Thema allzu wörtlich nimmt – ein Beet in Panzerform etwa -, so ist die Gartenmetapher doch so berührend wie brisant: Es ist der eigene Vorgarten, den die Künstler bestellen. Viele von ihnen haben durch die Spaltung die Heimat in der Ostukraine verloren. Wo sich die Wiener Schau politisch gibt, kann in Charkiw die poetische Herangehensweise der Jungen als subtilere Reaktion auf den allgegenwärtigen Konflikt gelesen werden. Die Metapher mache eine tiefere Auseinandersetzung mit Traumata möglich als aktivistische Protestkunst, sagt das Kuratorenteam. Dennoch drängt sich stellenweise der Eindruck von Kapitulation auf – fast zu besonnen wirkt die Kunst.

Zurück bleibt das Gefühl, dass das ukrainische Kunstmärchen ein düsteres sein könnte. Ein Happy End der politischen Spaltung scheint hier sowieso ungewiss.

Die Recherchereise wurde durch eine Kooperation des Kulturvereins Blockfrei und des Österreichischen Kulturforums Kiew finanziert.

(Kathrin Heinrich, 8.10.2019)