In Wien mangelt es an ausgebildeten Pflegekräften.

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Die Stadt Wien sucht in den kommenden Jahren dringend Pflegepersonal: 9.121 zusätzliche Fachkräfte brauche es bis 2030 allein in der Langzeitpflege – also ohne jene Stellen, die in der Akutversorgung in den Krankenhäusern benötigt werden. Das berichteten Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und die Geschäftsführerin des Dachverbands Wiener Sozialeinrichtungen, Sandra Frauenberger, bei einem Hintergrundgespräch mit Journalisten.

Allein Wien braucht 9.000 zusätzliche Pflegekräfte.
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Erhoben wurden diese Zahlen von der Gesundheit Österreich GmbH. Allein durch die anstehenden Pensionierungen der Babyboomer-Generation braucht es in Wien mehr als 5.000 Nachbesetzungen. Weitere 4.000 Personen werden wegen der demografischen Entwicklung der Stadt nötig – also wegen der älter werdenden Bevölkerung und des damit zu erwartenden Anstiegs des Pflegebedarfs.

Denn alleine dadurch, dass die Menschen länger und gesund leben, rechnet die Stadt damit, dass die Nutzung der Wohn- und Pflegehäuser um 30 Prozent steigt. Der überwiegende Anteil der Personen in diesen Häusern ist über 84 Jahre alt. Die mobile Pflege wird ab 2024 um 23 Prozent steigen, die teilstationäre Pflegenutzung bis 2030 um 23 Prozent. Zum Vergleich: Im Vorjahr betreute der Fonds Soziales Wien insgesamt 59.810 Kunden.

Hohe Teilzeitquote, hohes Alter

Derzeit arbeiten in Wien 12.339 Menschen – oder 10.065 Vollzeitäquivalente – in der langfristigen Pflege und Betreuung. Der Großteil des Personals, 7.100 Personen, ist in den Wohn- und Pflegehäusern, weitere 5.584 in der mobilen Pflege beschäftigt. Das Problem: Das Medianalter im Wiener Pflegebereich liegt bei 46 Jahren, das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bei 59,8 Jahren.

Basierend auf den Annahmen von 2018 und unter Berücksichtigung dessen, dass bis ins Jahr 2030 die Zahl der über 65-Jährigen in Wien auf mehr als 300.000 steigen wird, geht die Stadt von einem Bedarf von 16.383 Beschäftigten oder 13.368 Vollzeitäquivalenten aus, wie Brigitte Juraszovich von der Gesundheit Österreich GmbH ausführte. Gesucht werden etwa diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegeassistenten, Heimhelfer und Sozialbetreuer.

Bedarf nur bis 2024 gedeckt

Und der Bedarf dürfte nicht von den Absolventen der Ausbildungen im Pflegebereich abzudecken sein. So haben 2018 in Wien 1.232 Personen eine Berufsausbildung im Bereich Pflege und Betreuung abgeschlossen. Nur 500 von ihnen werden in der Langzeitversorgung in Wien tätig sein. Das Gros der Absolventen gehe erst in die Akutversorgung in Krankenhäusern, erklärte Frauenberger. Ein weiterer Teil, so Stadtrat Hacker, kehrt nach der Ausbildung in die Heimatbundesländer zurück.

Laut Berechnungen dürfte der Bedarf etwa bis 2024 durch Absolventen gedeckt sein. Doch gibt es Unterschiede nach den Berufsgruppen. So dürfte im gehobenen Dienst (FH-Absolventen oder diplomierte Krankenpfleger) sowie bei den Pflegeassistenzberufen schon früher ein Mangel eintreten. Bis 2030 braucht es über 1.800 neue diplomierte Krankenpfleger, die voraussichtliche Deckung durch Absolventen liegt bei rund 200 Personen.

Hacker sieht Fachkräftemangel

Aktuell gebe es in vielen Bereichen einen Fachkräftemangel. Die Gesundheitsberufe, speziell die Pflege, seien davon nicht ausgenommen, erklärte Hacker. Darum brauche es einen Plan, wie man ausreichend qualifiziertes Personal ausbilden und halten kann. Denn die Berechnungen der Gesundheit Österreich GmbH sind laut Hacker "konservative Berechnungen", also eher ein "Sicherheitsszenario".

Klar sei jedoch, dass gehandelt werden müsse. So soll es zu einer Personaloffensive kommen. Gemeinsam mit dem Fonds Soziales Wien und dem Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen sollen Strategien erarbeitet werden, um mehr Menschen in Pflege- und Sozialberufe zu holen. Wie genau das aussehen soll, wie viele weitere Ausbildungsplätze es etwa in den gehobenen Pflegeberufen braucht und ob die FH Campus vergrößert werden könnte, soll noch dieses Jahr bekannt werden.

Raus aus der Teilzeit

Jedenfalls brauche es die Attraktivierung der Pflegeberufe, so Hacker. Etwa einen Mix in den verschiedenen Bereichen der Pflege, sodass eine Person sowohl in der mobilen Pflege als auch in einem der Pflegehäuser arbeiten könne. Auch damit wolle man die Menschen aus der Teilzeit holen. Denn die Teilzeitquote in der Pflege ist mit 57 Prozent hoch. Im Schnitt arbeiten die zu 82 Prozent weiblichen Pflegekräfte 33 Stunden pro Woche. Würde die Arbeitszeit nur um zwei Wochenstunden erhöht werden, würde der Bedarf gleich um 344 Vollzeitäquivalente sinken, erklärte Juraszovich.

Sollte die Stadt es nicht schaffen, ausreichend Personal auszubilden, gebe es einen "Plan B, C oder D", erklärte Hacker. Das beinhalte auch, dass man im Ausland "gezielt Personal rekrutiert", wie es schon in den 1970- und 1980er-Jahren passiert ist. "Es hat einen Grund, dass wir in der Pflege eine große philippinische Community haben", sagte Hacker. Denn damals habe man besonders viele Fachkräfte von dem Inselstaat geholt.

In einem ersten Schritt wolle die Stadt aber eine Ausbildungsoffensive setzen und die Aus-, Fort- und Weiterbildung quantitativ erweitern. Anfang 2020 sollen 200 neue Ausbildungsplätze für die Pflegeassistenz und die Pflegefachassistenz geschaffen werden.

Hacker wollte zwar nicht über die Finanzierung reden, auch wenn diese eine der zentralen gesundheitspolitischen Fragen sei, doch rechnet er mit rund einem Viertel Mehrkosten in die Pflege. Der Fonds Soziales Wien finanzierte den Bereich im Vorjahr mit 1,12 Milliarden Euro.

Österreichweites Problem

"Alle Pflegeanbieter sind auf der dringenden Suche nach geeignetem Personal. Allein bei der Caritas sind derzeit einige Hundert Stellen in ganz Österreich offen. Und die Situation wird sich weiter verschärfen", erklärte am Dienstag auch Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien. Bis zum Jahr 2050 sei in Österreich mit einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen von derzeit 450.000 auf 750.000 Menschen zu rechnen. Mehr als 50.000 zusätzliche Pflegekräfte würden benötigt, heißt es von der Caritas.

Konkret fordert die Caritas fünf Maßnahmen, um einem Personalkräftemangel bestmöglich zu begegnen. "Ein Pflegekraftpaket wäre eine nachhaltige und sinnvolle Investition in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft", sagt Schwertner. Darin enthalten ist etwa eine Ausbildungs- und Jobgarantie für künftige Pflegekräfte und die Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen – bundesweit rund 2.000 pro Jahr. Aber auch berufsbegleitende Ausbildungen und Verbesserungen für QuereinsteigerInnen.

Auch soll der Zugang zu den Pflegeberufen durch jeden möglichen Ausbildungsweg geschaffen werden. Die Abschaffung der Ausbildungskosten für diplomierte Pflegekräfte und ein Ende des Schulgelds für alle übrigen Pflegeberufe sowie eine Einführung bzw. Erweiterung des Taschengeldes für Studierende im Bereich der Krankenpflegeberufe sind ebenfalls auf der Liste der Caritas zu finden. Zudem sollen die Gehälter angepasst und eine Digitalisierungsoffensive gestartet werden. (Oona Kroisleitner, 8.10.2019)