Elementary OS – der aktuelle Stern am Desktop-Himmel.

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In den 90er-Jahren, als Linux nur wenigen IT-Freaks bekannt war, machten die Kernel-Entwickler in ihrer Mailingliste schon Witze darüber, dass sie mit Linux die "World Domination" erreichen, also alle andere Betriebssysteme verdrängen wollten.

Weltherrschaft ...

Die Zeit der Scherze ist längst vorbei. Linux dominiert das Smartphone-Segment, einzig Apple kann noch gegenhalten. Linux läuft in den meisten modernen Fernsehern, in vielen WLAN-Routern und anderen vernetzen Geräten. In Autos, Flugzeugen und sogar auf der Raumstation ISS. Jede Bestellung bei Amazon durchläuft Linux-Server. Wer von der Cloud spricht, meint in Wirklichkeit vernetzte Linux-Rechner. Absurderweise gibt es selbst im Microsoft-Cloud-Angebot Azure mehr Linux- als Windows-Installationen. In den Top 500 der Supercomputer kommt schon seit 2017 kein anderes Betriebssystem mehr vor.

... mit einer Ausnahme

Linux hat also gewonnen, und keiner hat's gemerkt? Nein! Eine unbeugsame Nutzergemeinde hört nicht auf, Widerstand zu leisten: Trotz hoher Kosten, missglückter Updates und Sicherheitskatastrophen lassen sich weit über eine Milliarde Desktopbenutzer nicht davon abhalten,Windows anzuwenden. Dessen Marktanteil im PC-Segment beträgt unglaubliche 87 Prozent.

Dabei sind viele Linux-Vorurteile überholt: Das "Pinguin-Betriebssystem" ist auf den meisten Rechnern einfach zu installieren. Vereinzelt werden sogar Notebooks mit vorinstalliertem Linux angeboten. Die Bedienung ist zugegebenermaßen ein wenig anders, aber nicht komplizierter als unter Windows oder macOS. Weil immer mehr Anwendungen im Webbrowser zu bedienen sind, verliert selbst das Killerargument "Aber mein Programm XY gibt es nicht für Linux" an Gewicht. Linux ist sicherer – und kostet nichts!

Die Macht der Trägheit

Ist es also nur eine Frage der Zeit ist, bis Linux auch den Desktop erreicht? Aktuell sieht es nicht so aus, und zwar aus drei Gründen: Der erste besteht darin, dass sich Linux aufgrund des Open-Source-Modells schnell an neue Anforderungen anpassen konnte. Deswegen hat es die Marktsegmente Mobile, Cloud und Internet of Things scheinbar mühelos erobert. Der PC-Markt ist aber nicht neu, er ist im Gegenteil gesättigt. Die Claims sind abgesteckt: Wer es sich leisten kann (Privatanwender, Kreativsektor), kauft sich ein Apple-Gerät, der Rest verwendet einen Windows-PC und findet sich mit dessen Mängeln eben ab. Linux kann nur bei Entwicklern und Administratoren punkten – eine verschwindend kleine Zielgruppe.

Ubuntu: für viele Nutzer der Linux-Standard.
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Zweitens ist der Trägheitsfaktor zu berücksichtigen: Wer sich gerade ein neues Notebook mit Windows kauft, will es nutzen und sich nicht mit einer Linux-Installation mühen. Wer in der Schule mit Windows und Office 365 aufgewachsen ist, will darauf später nicht mehr verzichten. Und ja, bei der Office-Software hat Microsoft einen echten Vorsprung. Wer eine Firma/Organisation leitet, in der schon seit Jahrzehnten alle PCs unter Windows laufen, schreckt davor zurück, die IT-Infrastruktur von Grund auf zu ändern. Es gibt wichtigere Unternehmensziele.

Drittens steht sich Linux mit seiner großen Fragmentierung selbst im Weg: Zwar ist Gnome inzwischen der De-facto-Standard unter den Desktopsystemen, aber kaum eine Distribution lässt es sich nehmen, Gnome nach eigenem Gutdünken zu verändern.

Chromebooks und Cyber Resilience

2019 ist also nicht das Jahr des Linux-Desktops, und auch 2020 wird daraus nichts. Die Lage ist aber nicht ganz aussichtslos: Ein Hoffnungsschimmer sind die von Google forcierten Chromebooks. Deren größter Vorteil ist nicht der günstige Preis, sondern der nahezu wartungsfreie Betrieb. In den USA kommen die Geräte vor allem im Bildungssektor zum Einsatz. Europa ist da zurückhaltender, was sich vielleicht mit der (zu) engen Integration in die Google-Cloud begründen lässt. Andererseits scheint genau das Milliarden Smartphonenutzer durchaus nicht zu stören.

Ein zweiter Lichtblick ergibt sich aus der Securityperspektive: Zuletzt gab es beinahe im Wochentakt Nachrichten von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen, deren Betrieb nach einem Hackerangriff komplett stillstand. Wegen der Windows-Monokultur betrifft ein Angriff selten einzelne Rechner; vielmehr sind oft alle PCs im Firmennetzwerk lahmgelegt. "Linux-Inseln" könnten die Widerstandsfähigkeit eines Unternehmens oder Krankenhauses enorm steigern (Stichwort: Cyber Resilience). Dieses Argument überwindet mitunter sogar die Trägheitsfalle. (Michael Kofler, 11.11.2019)