Die Sozialdemokratie ist eine alte Dame geworden.

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Der alten Tante Sozialdemokratie wird von manchen ein langsamer, qualvoller Tod vorausgesagt. Und natürlich ist in den Augen aller potenziellen Erbschleicher ein türkises Glitzern bemerkbar: Den einen kann es gar nicht schnell genug gehen mit dem Hingang der nicht mehr bumsfidelen Alten. Andere plädieren für Verjüngung. Pflästerchen im Antlitz der Moribunden sollen leisten, was kein Dialysegerät mehr zu retten vermag.

In den Aufbruchsjahren der Kreisky-Ära deutete alles auf ewiges Leben der Sozialdemokratie hin: Modernität schien ein Projekt, das es zu wagen galt. Aber selbst damals, in der Blütezeit des Fortschritts, gab es unübersehbare Anzeichen des Niedergangs. Ich Babyboomer erlebte sie als Taferlklassler. Da war die Sache mit den Zahnzuckerln. Kleine, käsebleiche Pillen wurden jeden Morgen zu Unterrichtsbeginn an uns ausgegeben. Und während die Lebenswelt der Erwachsenen mit viel Demokratie geflutet wurde, hielt in den Mundräumen von uns Kindern gutes Fluorid Einzug.

Hostien mit Süße!

Ich Dreikäsehoch betrachtete die hochlöbliche Aktion als Ausdehnung der Heiligen Kommunion auf die gewöhnlichen Wochentage. Endlich gab es Hostien mit Süße! Viele Schüler ließen es an Ernst fehlen. Sie sparten sich die Kügelchen vom Mund ab und errichteten aus ihnen windschiefe Skulpturen. Ein anderer kurioser Effekt dieser Reformzeit war die Einführung der Mengenlehre. Wo früher die Eleganz der Algebra vorherrschte, da hagelte es plötzlich jollybunte Plättchen. Unter ihrer Zuhilfenahme wurden unentwegt Teil- und Schnittmengen gebildet. Es war schon eine Menge los damals!

Ein Hauch von Mengenlehre weht heute noch durch das Nachwahldeutsch unserer Parteivorsitzenden. Unausgesetzt ermahnen sie andere, ausreichende Schnittmengen zu bilden. Leider ist die geliebte Tante Sozialdemokratie klapperdürr geworden. Es fällt schwer zu glauben, dass sie sich von einem Bräutigam mit Ohren, groß wie Mühlräder, in die Arme schließen lässt. Manchmal sieht man die Greisin durch den Garten ihres Sanatoriums schleichen. Sie hat jetzt einen bärbeißigen Pfleger an ihrer Seite, der alle anherrscht, die der Dame Gutes wollen. Er heißt Deutsch. (Ronald Pohl, 9.10.2019)