Dass diese beiden zusammengehören, sieht man sofort. Sie sitzt im beigen Rollkragenpullover da, er im farblich abgestimmten Hemd. Es ist der zweite Tag für Lucie und Luke Meier als Modeprofessoren an der Wiener Universität für Angewandte Kunst. Das Paar sitzt an diesem Morgen im Besprechungsraum zwischen Obstschale und Kleiderstange, hier werden sie in den nächsten Jahren viel Zeit verbringen.

Seit zwei Jahren entwerfen Luke und Lucie Meier für Jil Sander. Peter Lindbergh hat sie für das Unternehmen fotografiert.
Foto: Peter Lindbergh

Tags zuvor haben die beiden einen Schnuppertag mit den Lehrenden und Studierenden absolviert, man muss sich ja erst einmal kennenlernen. Nach fünf Jahren unter dem britischen Designer Hussein Chalayan steht in der Modeklasse ein Neubeginn an. Im Unitrakt am Oskar-Kokoschka-Platz sieht auch alles danach aus. Das Gebäude ist jetzt frisch saniert, die strahlend weißen Namensschilder von Herrn und Frau Meier hängen schon vor ihrem Arbeitszimmer.

Sinnlicher Purismus

Zum ersten Mal wurde die Professur der Modeklasse doppelt besetzt, noch dazu mit einem verheirateten Paar. Nicht nur hier, sondern auch in der Modebranche sind die Meiers eine Ausnahmeerscheinung. Sie stehen als das einzige Ehepaar gemeinsam und gleichberechtigt an der Designspitze eines Modehauses. Dort demonstrieren sie auf elegant-zurückhaltende Weise Zusammengehörigkeit. Nach den Shows für das Modehaus Jil Sander betreten Lucie und Luke Meier in Mailand stets händchenhaltend den Laufsteg, ein seltenes Bild in einer schnelllebigen Industrie. "Wir treffen alle Entscheidungen gemeinsam, wir bestärken uns gegenseitig", erklärt Lucie Meier. Er sagt: "Es ist toll, jemanden zu haben, der einem zusätzlich Energie gibt."

Seit zwei Jahren entwerfen der 44-Jährige und die 37-Jährige nun für das Unternehmen. Der sinnliche, unaufgeregte Purismus ihrer Kollektionen kommt an, auch bei der Markengründerin selbst, die der Firma 2013 endgültig den Rücken kehrte: Die Meiers sind die ersten Unternehmensdesigner, die die "energetische wie freundliche" (die Meiers sind sichtlich begeistert) Heidemarie Jiline Sander ein paar Mal in Hamburg und Frankfurt getroffen haben.

Dass die designende Doppelspitze funktionieren würde, war nicht unbedingt vorhersehbar. Als Duo sind die Meiers erstmals bei dem Modeunternehmen Jil Sander, das 2008 von dem japanischen Konzern Onward übernommen wurde, in Erscheinung getreten. Zuvor haben beide unterschiedliche Karrierewege eingeschlagen: Lange war man beruflich auf zwei Kontinenten und in verschiedenen Sphären unterwegs.

Zwei Welten

Luke Meier entwarf in New York acht Jahre für das angesagte Streetwear-Label Supreme, während seine Freundin Lucie in Paris für Louis Vuitton, Balenciaga und Dior arbeitete. Nach dem Abgang von Raf Simons bei Dior verantwortete die Schweizerin als Co-Kreativchefin Couture und Ready-to-wear. Luke Meier gründete ungefähr zeitgleich OAMC, ein qualitätsbewusstes Streetwearlabel für den erwachsen gewordenen Skater.

"Wir treffen alle Entscheidungen zusammen", sagen Lucie und Luke Meier. In ihren Kollektionen für Jil Sander treffen ihre High-Fashion-Kompetenz und sein Verständnis für Streetwear aufeinander.
Foto: Jil Sander

Dass die berufliche Belastung der Beziehung der beiden Modedesigner wenig angetan, sie das Hin und Her zwischen den Welten überstanden hat, mag damit zu tun haben, dass sich die zwei bereits während ihres Studiums Anfang der Jahrtausendwende in Florenz kennengelernt haben. Bis dahin hätte das Leben des Sohns einer Kanadierin und eines Schweizers und der Tochter eines Schweizers und einer Österreicherin (mit Verwandtschaft in Oberösterreich) nicht unterschiedlicher aussehen können: Lucie Meier, die in dem überschaubaren 6000-Seelen-Ort Zermatt am Fuß des Matterhorns aufwuchs, brach damals zum ersten Mal in die weite Welt auf.

Zeit des Aufbruchs

In Florenz traf sie auf Luke Meier, den coolen Kanadier, der frisch aus New York kam und in jenem Herbst nach 9/11 mit dem Nachtzug Rom, Paris, München entdeckte, seinen ersten iPod immer im Ohr. Bald war er fasziniert von der Schweizerin mit dem aschblonden Haar, die ihm die Heimat seines Vaters näherbrachte.

Die Meiers erinnern sich gern an jene Zeit des Aufbruchs, der großen Träume und hochfliegenden Pläne. Lucie hat Modemarketing und -design in Florenz und Paris studiert, Luke vier Universitäten besucht. "Die Uni ermöglicht, sich selbst zu entdecken und das, wofür man wirklich steht", erklärt der Kanadier. Und an alle Studenten, die befürchten, nun in der Modeklasse zu Minimalisten mutieren zu müssen: Es gebe für sie keine "richtige oder falsche" Ästhetik, es gehe darum, unabhängig von Trends an dem festzuhalten, woran man glaube.

Schlicht mit Raffinesse: So sehen Männer und Frauen in diesem Herbst in Jil Sander aus.
Foto: Jil Sander

Die Zeit an der Uni sei als einer jener raren Momente der Freiheit dazu da, Dinge auszuprobieren und eine eigene Perspektive zu finden. Würde Luke Meier gerade nicht ziemlich abgeklärt im dritten Stock der Angewandten sitzen, könnte man meinen, Robin Williams als begeisterten Pädagogen in Der Club der toten Dichter vor sich zu haben.

Dabei sind Lucie und Luke Meier Realisten durch und durch. "Wir haben nie davon geträumt, Stardesigner zu werden, wir tun das alles nicht um der Berühmtheit willen", erklären die beiden mit einem Lächeln. Man nimmt es den schlicht gekleideten Modedesignern ab. Während sich Hussein Chalayan und Bernhard Willhelm, ihre unmittelbaren Vorgänger an der Modeklasse, ausschließlich mit ihrer eigenen Mode einen Namen gemacht haben, sind die Erfahrungen des Ehepaars vielfältig.

Sie hat mit den spannendsten High-Fashion-Designern des LVMH- und Kering-Konzerns zusammengearbeitet, unter Marc Jacobs bei Louis Vuitton, mit Nicolas Ghesquière bei Balenciaga und Raf Simons bei Dior. Er hat sich seine Meriten in der Streetwear verdient und handelt nebenher das eigene Männerlabel.

Mehr als Skizzen machen

Den Lehrauftrag an der Angewandten begreifen die Meiers wie ihren Job bei Jil Sander als gemeinsames Projekt: Sie wollen einmal im Monat von Mailand nach Wien kommen und ihre Studenten auf das "real working scenario" nach der Uni vorbereiten. Das kann nicht schaden. Die Branche hat sich grundlegend geändert, Mode wird nicht mehr nur haptisch erfahren, oft fallen Kaufentscheidungen am Smartphone. Auch die Idee des genialen Stardesigners hat sich überholt. In der Modeindustrie gehe es längst nicht mehr nur um den einen, "der Skizzen macht und schöne Kleidung entwirft", meint Luke Meier. Viel entscheidender seien Teamwork und der stete Austausch mit Spezialisten, vom Fotografen bis zum Print-Experten. Das wollen der Kanadier und die Schweizerin dem Nachwuchs in Wien vermitteln und fachübergreifende Kooperationen anstoßen. "Es ist wichtig, Menschen mit eigenen Kompetenzen zu respektieren."

Herr und Frau Meier scheinen es als Bereicherung zu verstehen, nun regelmäßig aus ihrem Arbeitsalltag herausgerissen zu werden. Schon an Tag eins an der Wiener Angewandten ist dem Duo klar geworden, dass der Nachwuchs sich mit drängenden Fragen der Modeindustrie auseinandersetzt. "Interessant, wie sehr sich die Studenten mit Konsum- und Nachhaltigkeitsfragen beschäftigten", meint Luke Meier. Wo, wenn nicht an der Uni, gäbe es Raum dafür, darüber nachzudenken, was heute einen guten Modedesigner ausmache. Vielleicht finden die Studenten ja Antworten auf diese Frage, gemeinsam mit den Meiers. (Anne Feldkamp, Rondo, 15.10.2019)