Betrifft: "Bereits 3,1 Millionen Österreicher sind zusatzversichert"

Österreich leistet sich hier eine typisch österreichische Sonderlösung. Bei der Diskussion über das öffentliche Gesundheitssystem wird immer wieder betont, dass wir eines der besten Systeme der Welt hätten. Die Existenz einer Zweiklassenmedizin wird vehement bestritten, ebenso die Möglichkeit, durch Privatärzte den Platz auf den Wartelisten für Operationen zu optimieren. In den Planungen zur Strukturreform des Gesundheitswesens (ÖSG) wird die Betrachtung des Wahlarztsystems aber gar nicht berücksichtigt. Eine Realitätsverweigerung? Ungeachtet der hohen Zahl der Wahlärzte werden nämlich nur circa zehn Prozent der Patienten von ihnen versorgt. Dies bedeutet, dass 90 Prozent der Patienten im niedergelassenen Bereich von der zahlenmäßig kleineren Gruppe der Ärzte mit Kassenvertrag versorgt werden. Wie geht das?

Nicht "versorgungsrelevant"

Die Ordination von Wahlärzten ist nur nach Voranmeldung zugänglich.
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Viele Wahlärzte sind neben einer kleinen Ordination als angestellte Ärzte in einem öffentlichen Krankenhaus tätig. Das bedeutet, die Ordination ist nur zu ausgewählten Zeiten, nach Voranmeldung zugänglich und hinsichtlich der Anzahl der versorgten Patienten nicht "versorgungsrelevant". Ebenfalls wird es kaum möglich sein, als Akutpatient ohne Ankündigung im Wartezimmer zu erscheinen. Wenn also immer mit der zunehmenden Zahl der Wahlärzte als Beweis für die Insuffizienz des öffentlichen Gesundheitssystems argumentiert wird, sollten unbedingt auch die Patientenzahlen dazu genannt werden.

Weiters sind viele Wahlärzte als Angestellte ihren Dienstgebern nur im Rahmen von Teilzeitverträgen verfügbar. Dies ermöglicht ihnen den Zugang zum öffentlichen Gesundheitsbereich (zum Beispiel Operationssälen, stationärer Diagnostik), stellt andererseits aber ein zunehmendes Problem hinsichtlich der personellen Kontinuität in den Krankenanstalten dar und höhlt letztlich öffentliche Ressourcen weiter aus.

Kein Trostpflaster

In den Wahlarztordinationen wird mit dem Faktor Zeit und der Aussicht auf eine Kassenrückvergütung geworben. Diese fällt meist mager aus (maximal 80 Prozent, kein Rechtsanspruch). Daher auch der Boom bei Privatversicherungen und die Entdeckung der Marktlücke Wahlarzt. Doch ist der Faktor Zeit allein noch kein Kriterium für Qualität, es geht doch vielmehr um Kompetenz, die eben aus vielen Faktoren entsteht.

Keine Frage, es wird kontinuierlich steigende Kosten verursachen, wenn wir bei steigender Lebenserwartung und zunehmendem medizinischem Fortschritt allen Menschen die optimale Therapie an jedem Ort zu jeder Zeit ermöglichen wollen. Wenn sich die Politik tatsächlich zu diesem Credo bekennen sollte, werden wir mit PR-Gags und halbherzigen Strukturinitiativen nicht viel anfangen. Es hat auch keinen Sinn, die Wartezeiten bei Kassenärzten zu bekritteln und gleichzeitig strukturell nichts in die Hand nehmen zu wollen. Ja, auch das könnte Kosten verursachen. Andererseits ist das System "Wahlarzt" als Trostpflaster nicht geeignet, besonders dann nicht, wenn wir nicht transparent darüber diskutieren.

Jens Mersch, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, 2630 Ternitz

Der Altersaspekt

Kassenärzte müssen ab dem 70. Lebensjahr alle Kassenverträge – bis auf die KFA – zurücklegen. Das Gesetz wurde vor circa zehn Jahren beschlossen und kam erstmalig 2019 zur Anwendung. Das ist unter anderem auch ein Grund dafür, dass es immer mehr Wahlärzte gibt.

Josef Nagler, Internist und Kardiologe, 1010 Wien (9.10.2019)