Ankara/Damaskus/Washington – Die kurdische Autonomieverwaltung in Nordsyrien hat am Mittwoch eine dreitägige Generalmobilmachung verkündet. Angesichts der drohenden Invasion der Türkei seien alle aufgerufen, sich an die Grenze zu begeben, um in diesem "entscheidenden historischen Augenblick" Widerstand zu leisten. Kurden weltweit wurden aufgefordert, gegen die Offensive zu demonstrieren.
Verwirrung um Einmarsch
Am Mittwochvormittag hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, dass die ersten türkischen Truppen die syrische Grenze überschritten hätten. Sie berief sich dabei auf einen türkischen Beamten, der das in Ankara anonym verlautbart haben soll. Dieser sprach angeblich von einer kleinen Truppe türkischer Einheiten, die Mittwochfrüh an zwei Punkten die Grenze überschritten habe. Diese Punkte befänden sich in der Nähe der syrischen Städte Tal Abyad und Ras al-Ayn.
Die türkische Regierung dementiert den Beginn des Einmarsches. Laut der Nachrichtenagentur Reuters haben türkische Soldaten lediglich den Grenzübergang mit schweren Fahrzeugen freigeräumt. Die Vorbereitungen der Invasion seien aber weiterhin im Gang, zitiert der Sender NTV Verteidigungsminister Hulusi Akar.
Österreich besorgt
Das österreichische Außenministerium zeigt sich über die weiteren Pläne und Ankündigungen der Türkei besorgt. Eine Invasion würde die Lage in Syrien weiter verkomplizieren, unter Umständen ein Wiedererstarken der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" fördern und die humanitäre Situation verschlechtern. "Wir brauchen nun positive Schritte zur Unterstützung der humanitären Lage und des politischen Prozesses", erklärte ein Ministeriumssprecher dem STANDARD.
Auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz hatte während seiner Kanzlerschaft die damalige türkische Militäroffensive im Nordwesten Syriens kritisiert. Die Türkei sei gefordert, "in Syrien und der Region eine konstruktive Rolle zu spielen", erklärte er Anfang 2018. Nächste Woche wird Außenminister Alexander Schallenberg mit seinen EU-Kollegen über die weitere Vorgangsweise beraten.
Türkei in Vorbereitungen
Die Türkei hatte am Dienstag angekündigt, dass die Militäroffensive gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien "in Kürze" beginnen werde. Die YPG waren für die USA im Kampf gegen den IS einer der wichtigsten Verbündeten. Ankara stuft die YPG wegen ihrer Nähe zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) als Terrororganisation ein. Seit 2016 ist die Türkei bereits zweimal gegen die YPG in Nordsyrien vorgegangen.
Bereits am Dienstag verstärkte die Türkei ihre Militärpräsenz in der Grenzregion. Ein AFP-Reporter berichtete von einem Konvoi mit dutzenden gepanzerten Fahrzeugen nahe der Stadt Akçakale in der Provinz Şanlıurfa.
Kritik am US-Truppenabzug
Der republikanische US-Senator Lindsey Graham rief die Türkei am Dienstag auf, die Militäroffensive abzublasen, und warnte vor einer "roten Linie". Es gebe kein grünes Licht der USA für einen Einmarsch in Nordsyrien, schrieb Graham auf Twitter.
Auch die ehemalige US-Botschafterin bei der Uno, die Republikanerin Nikki Haley, kritisierte die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump zum US-Truppenabzug. "Die Kurden sterben zu lassen" sei ein "großen Fehler", schrieb sie unter dem Hashtag "#TurkeyIsNotOurFriend" auf Twitter. Verbündete der USA müssten sich auf ihren Partner verlassen können.
Die USA hatten zu Wochenbeginn Soldaten aus Stellungen in Nordsyrien abgezogen und damit das Feld für eine türkische Militäroffensive geräumt. Das brachte Trump auch aus den eigenen Reihen den Vorwurf ein, die Kurden im Stich zu lassen.
Iran beunruhigt
An seiner Grenze zur Türkei hat der Iran laut der Nachrichtenagentur Isna unterdessen eine unangekündigte Militarübung begonnen. An dem Manöver beteiligt waren demnach Boden- und Lufttruppen, auch schnelle Eingreiftruppen der Armee. Der iranische Präsident Hassan Rohani hat unterdessen verlautbart, dass die Türkei ein Recht habe, ihre südlichen Grenzen zu verteidigen, forderte aber Zurückhaltung. (APA, AFP, Reuters, red, 9.10.2019)