Vor zehn Jahren hat mit UniBrennt die bislang größte Protestbewegung an Österreichs Hochschulen begonnen. Auf ein Studierendenleben gerechnet ist das lange her: In den verstrichenen zwanzig Semestern wären zig Module abzuschließen, 600 ECTS-Punkte zu sammeln und zwei Bachelor plus zwei Mastertitel zu erlangen gewesen.

Doch waren es nicht zuletzt diese neuen universitären Währungen als sichtbarste Zeichen der schwelenden Bologna- Reform, die die Aktivisten der UniBrennt-Bewegung zum Aufbegehren befeuerten. Vor allem die unbeholfene Umstellung der alten Diplomstudien auf die Bachelor-Master-Struktur sorgte bei den Betroffenen für Empörung. Und die Zergliederung des Studiums in eine komplizierte Hierarchie von Modulen wurde vielerorts als Beschneidung der Wahlfreiheit empfunden. Auch an den klassischen Problemen – überfüllte Hörsäle und Unterfinanzierung der Unis – mangelte es damals nicht.

Am 22. Oktober 2009 haben Studierende das Audimax, den größten Hörsaal der Universität Wien besetzt. Von da an breitete sich Unibrennt wie ein Lauffeuer über den deutschsprachigen Raum aus.
Foto: Christian Fischer

Allerdings sind diese Motive allein zu wenig, um zu erklären, woher die monatelange Bewegung ihre Kraft nahm. Entscheidend war das übergreifende Thema: Die Kritik an der gesellschaftlichen Rolle von Hochschulbildung. Die zunehmende Ausrichtung der Studien auf die vermeintlichen Erfordernisse des Arbeitsmarktes wurde heftig infrage gestellt. Genauso wie die Abhängigkeit der Unis von Kooperationen mit privaten Financiers. Ein Jahr nach Ausbruch der Bankenkrise 2008 traf das Unbehagen von UniBrennt über die "Ökonomisierung der Bildung"den Nerv der Zeit. Dazu passend attackierte die damalige ÖH-Vorsitzende und heutige Grünen-Politikerin Sigrid Maurer den "neoliberalen Umsturz des Bildungssystems".

Innerhalb kurzer Zeit wurde im Audimax die passende Infrastruktur aufgebaut.
Foto: Christian Fischer

Für derart weitreichende Diskussionen brauchte es einen geeigneten Ort: die Universität selbst. Die Aktivisten besetzten einen Hörsaal nach dem anderen und verwandelten sie zu selbstverwalteten Debattenräumen. Ab den Oktobertagen 2009 breitete sich die Bewegung von Wien in weite Teile des deutschsprachigen Raums aus.

Das Zentrum des Protests bildete das Audimax an der Uni Wien, das sich am ersten Tag der Besetzung binnen weniger Stunden mit Studierenden füllte. "Der Aufbau ging wahnsinnig schnell, in kurzer Zeit wurden ein Pressezentrum, eine Küche und ein EDV-Zentrum errichtet", erinnert sich Robert – damals am Beginn seines Studiums – an die ersten Stunden von UniBrennt. Selten zuvor war ein Protest derart multimedial angelegt: Es wurde getwittert und getickert, die Diskussionen des Plenums wurden per Videolivestreams aus dem Hörsaal gesendet.

Bei der Eröffnung eines Boku-Gebäudes wurde der damalige Wissenschaftsminister Johannes Hahn (Mitte) von Protestierenden belagert.
Foto: Matthias Cremer

Doch die Gesprächsbereitschaft der Regierung war enden wollend. Der damalige ÖVP-Wissenschaftsminister Johannes Hahn versuchte, die Relevanz des Aufbegehrens herunterzuspielen. Er tat den Unmut als "lokalen Protest" ab und weigerte sich wochenlang, mit den Protagonisten zu sprechen. Schließlich sagte er ein Sonderbudget aus der "Ministerreserve" zu und lud zum Hochschuldialog, der allerdings lasch und ergebnislos blieb.

Verlagerter Protest

Auf der Ebene der Institute kam es hingegen nach Abflauen des Protestelans im Winter 2009 durchaus zum produktiven Austausch bezüglich der Anliegen der Studierenden. Curricula wurden stellenweise – etwa mit alternativen Erweiterungsfächern – aufgelockert, um dem Wunsch nach mehr Selbstgestaltung entgegenzukommen.

Mit der Zeit fanden sich elegantere Lösungen für die Abstimmung von Bachelor- und Masterprogrammen. Und die Fundamentalopposition zur Bologna-Studienarchitektur verstummte langsam.

Zehntausende demonstrierten am 28. Oktober bei der ersten Großdemo von Unibrennt.
Foto: Matthias Cremer

Die großen Forderungen sind heute jedoch genauso weit von einer Lösung entfernt wie noch vor einem Jahrzehnt. Die "Redemokratisierung" der Hochschulen blieb aus, nach wie vor sind Ministerium und Rektorat gegenüber den Studierenden und dem akademischen Mittelbau in der Übermacht. Betreuungsverhältnisse haben sich in den vergangenen Jahren kaum verbessert, und Zugangsbeschränkungen werden auf immer mehr Studiengänge ausgedehnt.

Wäre heute noch eine solch intensive Auseinandersetzung junger Menschen mit dem Stellenwert von Bildung denkbar wie 2009 im Audimax? Man wäre versucht, die Frage mit dem beliebten Klagelied über die unpolitische Jugend und ihr fehlendes Problembewusstsein abzuschmettern.

Bis kurz vor Weihnachten dauert die Besetzung an der Uni Wien. Am 1. Dezember räumt die Polizei das Audimax.
Foto: Matthias Cremer

Doch wäre es naiv, das Wiederaufflammen einer Protestbewegung in ihrer alten Gestalt herbeizusehnen. Die politischen Konfliktfelder haben sich verschoben, und jede Generation nähert sich ihrer Bildung von einer anderen Seite. Heute brennt nicht die Uni, sondern die Erde. "Wofür lernen, wenn es keine Zukunft gibt?", fragen die Fridays-for-Future-Aktivisten – darunter viele Studierende. Es geht ihnen darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in politisches Handeln umzuwandeln.

Was ist das, wenn kein bildungspolitischer Aufstand? (Theo Anders, 11.10.2019)