Von "unseren Werten", den demokratischen und den christlichen, hören wir jetzt viel. Sie sollen von künftigen Koalitionen und von allen, die hier leben wollen, respektiert und geteilt werden. Aber was sind christliche Werte? Papst Franziskus hat sie, soweit sie Flüchtlinge und Migranten betreffen, vor kurzem genau definiert. Sebastian Kurz bezeichnet sich selbst als christlich-sozial geprägten Menschen. Er täte gut daran, sich diese Definition genau anzuschauen.

Ausgerechnet am 29. September, dem Tag unserer Nationalratswahl, hat die katholische Kirche den "Welttag des Migranten und des Flüchtlings" begangen. In seiner Botschaft dazu gliedert der Papst "die Grundsätze der Lehre der Kirche: aufnehmen, schützen, fördern und integrieren" in eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen auf. Dazu gehören unter anderem "Gewährung von Visa zu humanitären Zwecken und zur Wiedervereinigung von Familien", "Zugang zu Grunddienstleistungen", "Gewährleistung einer Mindestlebensversorgung", "Möglichkeit zur Arbeit", "Eingliederung in die Arbeitswelt".

An der Grenze Österreichs zu Slowenien wird weiterhin kontrolliert.
Foto: Elmar Gubisch

Wer die "ordentliche Mitte-rechts-Politik" der vergangenen Regierung mit diesem Maßnahmenkatalog vergleicht, kann als treues Kirchenmitglied nur resigniert den Kopf schütteln. Oder wütend werden. Humanitäres Bleiberecht? Ausgehöhlt und kaum noch angewendet. Mindestsicherung? Gekürzt. Möglichkeit zur Arbeit? Für Asylwerber ausgeschlossen. Eingliederung in die Arbeitswelt? Für den Ex-Koalitionspartner FPÖ ein rotes Tuch. In den Worten des Papstes sind "in diesem Szenario Migranten und Flüchtlinge, Vertriebene und Opfer von Menschenhandel zu Sinnbildern der Ausgrenzung geworden, die oft als Ursache gesellschaftlicher Missstände" betrachtet würden.

Migranten sind unpopulär.

Es fällt auf, dass das Thema Migration im Wahlkampf und danach von allen Parteien kaum angesprochen wurde. Auch SPÖ, Grüne und Neos redeten lieber allgemein von Menschenrechten und Armutsbekämpfung. Kein Wunder, Migranten sind unpopulär. Aber Migration bleibt, trotz der alles beherrschenden Klimadiskussion, dennoch die zweite ganz große Herausforderung für jede künftige Regierung. Wenigstens die von Sebastian Kurz mit Recht so benannten "Grauslichkeiten" auf diesem Gebiet müssen weg. Das wäre das Mindeste.

Regina Polak, Professorin für Praktische Theologie an der Universität Wien und Beraterin der deutschen (nicht der österreichischen) Bischofskonferenz in Migrationsfragen, kritisiert an der gegenwärtigen Debatte, dass diese sich auf den Gedanken des "Schutzes vor" Zuwanderern und Flüchtlingen reduziere. "Grund- und Menschenrechte werden durch die aktuelle Migrationspolitik unterminiert, und das führt zu bedenklichen Verschiebungen in der Wertehaltung der Bevölkerung."

Stimmt. Wenn derzeit von christlichen Werten die Rede ist, dann geht es meistens um Kreuze im Klassenzimmer und Kopftuchverbote. Gut, dass wenigstens der Papst daran erinnert, was die wirklich wichtigen Werte des Christentums sind. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 9.10.2019)