Natascha Kampusch liefert in ihrem neuen Buch einen Überblick über Diskriminierung im Netz.

Foto: Christian Fischer

Online-Hass in Österreich ist unvermeidlich mit Natascha Kampusch in Verbindung zu bringen. Seit ihrer Selbstbefreiung 2006 kämpft sie regelmäßig mit Anfeindungen. Nun widmet sie sich mit dem Buch Cyberneider vertiefend dem Thema. Darin werden zwar auch ihre persönlichen Erfahrungen und Gedanken mitgeteilt, primär will Kampusch Lesern aber einen Überblick verschaffen. DER STANDARD hat nun zu diesem Anlass mit Kampusch ein Interview geführt, 2018 wurden ihre Erfahrungen nach einem langen Gespräch protokolliert.

STANDARD: Ihr neues Buch heißt Cyberneider. Warum eigentlich?

Kampusch: Neider, das beschreibt gut, wieso Hass im Netz oft entsteht. Gerade bei Influencern heißt es immer, sie machen ja so viel Geld. Das ist oft Neid. Ich habe aber nie verstanden, warum man mich beneidet – aber ich scheine dieselbe Wirkung zu haben.

STANDARD: Wie Influencer?

Kampusch: Ja. Mittlerweile möchte ich mich ja in diese Richtung bewegen, aber davor war das schon komisch, vor allem weil die Leute auch Autogramme haben oder zum Haus gefahren werden wollten, um ein gemeinsames Foto zu machen.

STANDARD: Wie gehen Sie mit Hassnachrichten um?

Kampusch: Auf meiner Website wird es vorsortiert. Auch manche Briefe bekomme ich nicht direkt, weil ich auch nicht die Zeit hätte, alles zu lesen. Auf sozialen Plattformen sehe ich es aber schon erst einmal selbst.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Ihre Situation ist paradox: Trotz ihres Schicksals sind Sie mit Hass anstatt Empathie konfrontiert. Wie erklären Sie sich das?

Kampusch: Meine Vermutung ist, dass Leute nicht damit umgehen können, dass ein Opfer auch nach außen gehen und stark sein kann. Das wollen sie nicht. Sie hätten lieber jemanden, der sich zurückzieht. Das bin ich eben nicht – und das führt zu Hass. Dann gibt es Menschen, die Sensationen und Skandale lieben, und andere, die sie gezielt schüren. Manche glauben das, werden wütend und empören sich.

STANDARD: Was machen diese Hasspostings mit Ihnen?

Kampusch: Mittlerweile lasse ich es nicht mehr an mich heran. Liest man einen Beitrag, denkt man sich erst: Das ist irgendjemand. Aber wenn man es öfter hört, wenn Leute auf der Straße darüber sprechen, ist es schon schlimm.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie erleben es auch auf der Straße?

Kampusch: Anfeindungen, ja, schon von Anfang an sind Leute auf mich zugekommen oder haben sich unhöflich oder respektlos geäußert. Es kam auch schon vor, dass sie mir etwas tun wollten und zurückgehalten wurden.

STANDARD: Lässt sich dieser Hass politisch verorten?

Kampusch: Es sind oft Wähler des rechten Lagers, die mich persönlich ansprechen. Sachen wie "Hättest ruhig weiterhungern sollen" oder "Du solltest, so wie die, vergast werden". Sie bedrohen mich nicht direkt, stellen aber Verbindungen zu anderen Leuten her, die sie auch mobben, und jenen, die im 20. Jahrhundert zu Tode gekommen sind.

STANDARD: Warum gerade aus dieser Richtung?

Kampusch: Es ist eigenartig, aber ich vermute, weil es wie ein Verrat vorkommen muss. Ich meine, sehen Sie sich ein Foto von mir an: blond, blauäugig, Frau. Nach deren Auffassung untergeordnet, stellt sich aber dagegen.

STANDARD: Also eine chauvinistische, patriarchalische Denkweise.

Kampusch: Genau. Das wird durch mein Verhalten gebrochen. Das finden sie so hassenswert. Und: Vielleicht gibt es auch eine gewisse Sympathie für den Täter. Er hatte schließlich Mein Kampf im Wohnzimmer. Sie bedauern wohl, dass er gestorben ist.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Haben Sie deswegen aufgehört, sich öffentlich zu bestimmten Themen zu äußern?

Kampusch: Am Anfang schon. Ich setze mich für Umweltschutz, Tierschutz und für Minderheiten ein. Es gab eine Phase, in der ich mir dachte: Ich unterstütze das und folge den Flüchtlingshilfsorganisationen. Aber ich like weniger. Es hat mir dann aber auch gezeigt, dass das Ganze ein Mechanismus sein kann, um jemanden einzuschüchtern. Da habe ich mir gedacht: Jetzt erst recht.

STANDARD: Glauben Sie, dass das Thema in Zukunft eine bessere Handhabung finden wird?

Kampusch: Ich hoffe es. Dann können wir uns wichtigen Dingen wie Hunger und Klimawandel widmen und ohne künstlich geschaffenes Leid ein bisschen ruhiger schlafen. Ich bin auch immer froh, wenn die Wahlen vorbei sind, danach haben wir uns, zumindest in meiner Vorstellung, alle lieb. (Muzayen Al-Youssef, 10.10.2019)