Am Mittwochabend fand in Halle eine Trauerfeier statt.

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Es gab einen Riesenknall, und da hat jemand versucht, beim jüdischen Friedhof einzudringen. Er hat mehrfach mit der Schrotflinte auf die Tür geschossen". Dann sei eine junge Frau gekommen, "rein zufällig von der Straßenbahn", diese sei "mit dem Maschinengewehr erschossen" worden.

So schilderte ein Augenzeuge im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), was sich am Mittwochnachmittag in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, zugetragen hat. Der Mann in Kampfmontur habe auch Granaten unter die Tür zum Friedhof geworfen.

Auf die Synagoge in der Humboldtstraße sollte ebenfalls ein Anschlag verübt werden, ein Verdächtiger hat laut Max Privorozki, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Halle, versucht in das Gebäude einzudringen. Doch die Sicherheitsvorkehrungen am Eingang, so Privorozki auf Spiegel Online, hätten "dem Angriff standgehalten".

Schüsse im Döner-Laden

Der Nachrichtensender n-tv zitiert einen Augenzeugen, der über Schüsse in einem nahe gelegenen Döner-Laden berichtete. Er sprach von einem Mann mit Sturmhaube, Helm, Sturmmaske und Militärjacke, der in den Laden geschossen habe. Dabei sei ein Mann tödlich getroffen worden.

Am Nachmittag bestätigte die Polizei den Tod einer Frau und eines Mannes. Mehrere Medien berichteten, dass zudem zwei Personen mit Schussverletzungen ins Spital eingeliefert worden seien. Offiziell äußerte sich die Polizei außerdem zur Festnahme eines Verdächtigen. Er war zuvor mit einem gestohlenen Taxi auf die Autobahn geflüchtet.

Zunächst war aufseiten der Polizei von mehreren Tätern die Rede gewesen, am Abend jedoch gingen die Behörden von einem rechtsextremen Einzeltäter aus. Es soll sich um den 27-jährigen Stephan B. aus Sachsen-Anhalt handeln. Den Ermittlern liegt ein Video vor, das er selbst mit einer Helmkamera aufnahm und ins Internet stellte – so wie es im März der Attentäter im neuseeländischen Christchurch getan hatte.

Tat auf Video aufgenommen

Auf dem Video sind die Schüsse zu sehen, B. schimpft auch mehrfach über "Kanaken" und "Juden". Laut Spiegel ist der 27-Jährige nicht polizeibekannt.

"Nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse müssen wir davon ausgehen, dass es sich zumindest um einen antisemitischen Angriff handelt", sagte der deutsche Innenminister Horst Seehofer am Abend. Auch die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer sagte: "Vieles deutet darauf hin, dass sich die brutale Gewalt gegen jüdisches Leben richtete."

Im Internet ist am Mittwochabend ein Dokument aufgetaucht, bei dem es sich um eine Erklärung des Angreifers zu handeln scheint. Das PDF-Dokument zeige Bilder von Waffen und enthält einen Verweis auf das Live-Video, das von der Tat verbreitet wurde. In dem Text wird das Ziel genannt, "so viele Anti-Weiße zu töten wie möglich, vorzugsweise Juden". Ob es tatsächlich von dem mutmaßlichen Täter stammt, war zunächst allerdings unklar.

Die Ermittlungen hat wegen der besonderen Bedeutung der Tat für die Bundesrepublik die Bundesanwaltschaft übernommen. Spekulationen über einen Zusammenhang der Angriffe mit einer Razzia gegen Rechtsextreme am gleichen Tag wollte das bayerische Landeskriminalamt (LKA) nicht bestätigen. Ein Sprecher des LKA Bayern sagte zu Bild: "Wir haben bisher noch keine Erkenntnisse, dass die Schüsse in Halle mit der Razzia in Zusammenhang stehen." Ermittler haben am Mittwoch in mehreren Bundesländern Razzien gegen Rechtsextreme durchgeführt. Es hat dabei auch Einsätze im westlich an Halle grenzenden Landkreis Mansfeld-Südharz gegeben.

Schutz für Synagogen

In vielen Städten wie Leipzig, Dresden, Berlin und Frankfurt wurde der Polizeischutz vor Synagogen verschärft. Berlins Innensenator Andreas Geisel (53) sagte: "Auch wenn die genauen Hintergründe der Tat derzeit noch unklar sind, habe ich die Polizei Berlin gebeten, die Schutzmaßnahmen für jüdische Einrichtungen in unserer Stadt umgehend und bis auf Weiteres zu erhöhen. Diese Maßnahmen setzen wir im Moment im Einvernehmen mit den jüdischen Gemeinden um."

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am Abend demonstrativ die Neue Synagoge in der Berliner Oranienburgerstraße. Dort waren Menschen zusammengekommen, um ihre Solidarität zu zeigen. (Birgit Baumann aus Berlin, APA, 9.10.2019)