Sammelt in seiner Literatur lauter Stunden der wahren Empfindung: Peter Handke, hier anlässlich seiner Jurytätigkeit für den Petrarca-Preis, hält sich aus Gewohnheit im Nebenhalt des Literaturbetriebes auf. Er lebt seit bald 30 Jahren in der Nähe von Paris.

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Auf die spröde Widersetzlichkeit von Literatur findet sich jeder verwiesen, der Peter Handkes frühe Prosabücher heute noch zur Hand nimmt: Die Hornissen (1966) oder den Pseudo-Kriminalroman Der Hausierer (1967). In ihnen findet man eine Bewegung des Aufbegehrens dokumentiert. Der junge, sich und seine Mittel erprobende Handke schrieb an gegen die stillschweigend vorausgesetzten Konventionen des Fabulierens: gegen das Diktat der Handlung, gegen realistische Erzählnormen.

Schriftsteller Peter Handke wurde mit dem diesjährigen Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Der Autor hatte sich vor einigen Jahren dafür ausgesprochen, den Preis abzuschaffen.
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Der Sohn eines Deutschen und einer Kärntner Slowenin sträubte sich gegen das, was er, ein junger Mann mit Pilzkopffrisur und dunkler Brille, als "Erzählimpotenz" der Altvorderen geißelte.

Handke tat die verpflichtenden Normen der Gruppe 47, von Günter Grass und Konsorten, mit lässiger, ja: mit impertinenter Geste ab. Im Gegenzug verpflichtete er sich einem emphatischen Begriff von Wahrhaftigkeit. Die Sprache prägt und formt den Menschen. Sie wirkt handlungsanleitend und spinnt Netze, in denen das Individuum sich ohne eigenes Zutun verfängt. Also muss der Einzelne sich zur Wehr setzen. Er muss ansprechen gegen jede Vereinnahmung, muss alles Vorgekaute links liegen lassen, darf sich nicht einschüchtern lassen durch Blut, Boden und (nazistische) Ideologie.

Frühe "Sprechstücke" für das Theater wie die Publikumsbeschimpfung (1966) oder wie der Dressurritt Kaspar waren nicht nur schnoddrige Pamphlete, gerichtet gegen die Instanzen einer als übermächtig erlebten Ordnung. Was Repression an Verheerungen stillschweigend ausrichtet, erzählte Handke im Wunschlosen Unglück (1972), der sanften, ungekünstelten Verzeichnung des mütterlichen Elends, das im Suizid endete. Es schien, als ob Handke, der gelernte Jurist aus Griffen in Kärnten, nicht mehr nur noch gegen die Verhältnisse rebellieren müsste.

Schwingende Sätze

Die Sätze in seinen Büchern wurden weiter und schwingender. Sie enthielten sukzessive mehr Welt. Mehr Luft zum Atmen, mehr Stoff aus vertrauten Büchern und fremden Ländern. Aufenthalte in Paris (mit Tochter Amina, bis 1978) und Reisen unter anderem nach Amerika fanden ihren literarischen Niederschlag.

Die politischen Ansichten Peter Handkes zu den Jugoslawien sind bis heute umstritten. Kritiker werfen ihm eine Verharmlosung der serbischen Kriegsverbrechen vor.
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Peter Handke verwandelte sich in einen Erzähler, wie ihn die deutsche Literatur bis dato noch nicht gesehen hatte: in einen Ding- und Wortwanderer, der in schweren Schuhen, aber himmelhoch erhobenen Herzens Europas Schicksalslandschaften ablief. Der das behutsam Wahrgenommene, das leibhaftig Gesehene und für wichtig Erachtete mit feinem, weichem Bleistift verzeichnete.

Handkes "Treue" galt fortan der Natur. In der Bewegung des Wanderns wurde der Dichter durchlässiger, für die Partikel der Welt anfälliger, für die Torheiten der profanen, synthetischen Welt aber immer unempfänglicher. Mit einem Buch wie Der Chinese des Schmerzes (1984) wurde zudem ein unduldsamer Zug an diesem Verächter der Moderne spürbar.

Handke wollte im Zweifel Recht behalten. Er tadelte Erscheinungen, für deren Zustandekommen er das Maulheldentum liberaler Phrasendrescher verantwortlich machte. Sein vielgescholtenes Eintreten für die Sache Serbiens (Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien, 1996) geschah im Zeichen der "Gerechtigkeit". Handke plädierte nicht so sehr für einen radikalen Politikwechsel am Balkan, sondern für ein Unterlaufen geläufiger Sichtweisen. Der Glanz einer Benzinlache, die Farbe eines vollreifen Apfels sind Argumente genug, um mit Deutungsmustern des Mainstreams zu brechen.

Profane Frömmigkeit

In Handkes Büchern obwaltet etwa seit Mitte der 1980er eine Art von profaner Frömmigkeit, die das Dasein feiert und sein Unscheinbares gegen dessen Verächter in Schutz nimmt. Handke sammelte "Schwellenerfahrungen": Schwellen, an denen die Dinge beginnen, im Licht einer Bedeutsamkeit zu erstrahlen, die ganz allein aus ihrem Inneren erwächst.

Was aber bleibt, stiftet der Erzähler. In den Täuschungen, in den Fiktionen tritt dieser am ehesten in sein Recht. "Der Blitzmoment, der die Erkenntnis des Irrtums begleitete, hätte den Blick geschärft, und die Irrtumsgegenstände gewännen den Anschein von Studienobjekten. Sie würden zu Neuigkeiten, unbekannten, bisher jedenfalls nicht so gesehenen." So hieß es noch im Großen Fall (2011).

Und so ist über mehr als fünf Jahrzehnte ein völlig inkommensurables Werk entstanden, das Dank der Ära Claus Peymanns am Wiener Burgtheater auch die Theater mit Proben von Handkes Poesie konfrontierte: zähen Versuchen einer neuen Konkretion der Welt, wie sie zu kennen wir uns (meistens) weigern.

Bücher wie Der Bildverlust oder Die morawische Nacht laden ein zu Begehungen einer Welt, die sich unter dem sanften Druck der Schrift in tausend Einzelheiten entfaltet. Die im Nebenhalt auf uns wartet. Die etwa auch in den Klüften der Kärntner Landschaft zu finden ist, in denen Immer noch Sturm (2010) spielt, Handkes vielleicht größtes Drama: die Rettung und Bergung der slowenischen Familienangehörigen, derer, die man im Dunkel der Geschichte nicht sieht.

Handke selbst lebt seit langem im Umland von Paris, wo er, in schweren Schuhen, doch leichten Herzens, Pilze sammelt und auf die allergeringsten Dinge Acht hat. Auch so wird man zu "einem der einflussreichsten Autoren" weltweit, wie nunmehr die Stockholmer Akademie befand. (Ronald Pohl, 10.10.2019)