Die oststeirische Gemeinde Eggersdorf, 20 Kilometer nordöstlich von Graz, war bislang nicht gerade das Mekka guter, neuer Baukultur auf dem Land. Dabei geht es dem Ort nicht schlecht. Er profitiert von der Nähe zu Graz und zu den Bezirkszentren Gleisdorf und Weiz. Man wohnt am Land und pendelt zum Arbeiten in die Stadt, oder, wie unlängst zu bemerken, macht im Ort eine Praxis oder ein Büro als Selbständiger auf. 2015 wurden – wie in vielen anderen steirischen Gemeinden auch – mehrere umliegende kleine Orte eingemeindet. Eggersdorf ist nun mit fast 7.000 Einwohnenden gehörig gewachsen, eine gemeinsame Identität der verstreuten Orte ist bislang noch nicht gelungen. Das könnte sich nun ändern, und zwar durch Architektur. In einem der vormals eigenständigen kleinen Orte, Volkersdorf, wurde vor kurzem ein Wohnprojekt fertiggestellt, das besser ist als vieles, was man am Land so zwischen Burgenland und Vorarlberg sieht. Jawohl, ein kleiner oststeirischer Ort kann baukulturmäßig mithalten mit Vorarlberg. Wie geht das denn?

Einfamilienhäuser, Einfamilienhäuser, Einfamilienhäuser

Bis vor kurzem sah Eggersdorf aus wie viele andere steirische Orte auch. Im Ortskern wurden ehemalige Gasthäuser zu Wohnbauten umgenutzt, rund um die Kirche gruppieren sich lose etwas ältere Höfe, ansonsten dominiert das Einfamilienhaus. Ein paar Verdichtungsversuche gelangen mehr oder weniger, irgendwie fehlte dafür ein Konzept. Flachdach, Steildach, Pultdach, Villa, Reihenhaus oder Wohnungsblock – geht man durch den (zentralen) Ort Eggersdorf, hat man das Gefühl, als wäre man noch am Üben mit der Architektur. Das ist schade, denn die sanft hügelige Landschaft bietet viel. Teils stehen hier noch alte Streuobstbäume, das Klima ist mild, lokale Produzenten setzen vermehrt auf gute Qualität und die Lebensqualität ist hoch. Man kann im Ort sogar noch ohne Auto  in einem großen Kaufhaus mit vorwiegend lokalen Produkten einkaufen. Obwohl, Vorsicht, die nächsten Supermärkte werden schon gebaut. Bis heute hat Eggersdorf kein Zentrum, vielleicht ist das aber auch ganz gut so, denn die interessanteren Entwicklungen passieren dort eher am Rand.

Satteldächer, endlich!

2019 hat sich die Situation plötzlich schlagartig geändert. Etwa zwei Kilometer hinter dem Eggersdorfer Zentrum hat eine Gruppe von über 70 Personen gemeinsam mit der Wohnbaugenossenschaft WoGen das Projekt KooWo – Kooperatives Wohnen – auf einem 3,6 Hektar großen Grundstück ein Projekt mit 28 Wohnungen errichtet. Den Eingang zum Projekt bildet ein alter Dreikanthof, der mit viel Witz und zugleich Sensibilität zu einem Gemeinschaftshaus umgebaut wurde. Ist man einmal durch den Hof durch, eröffnet sich ein weitläufiges Gelände mit drei sehr präzise gesetzten, langen schmalen, geknickten Baukörpern mit Satteldächern. Ja, Satteldächer, endlich! Die klug zueinander gedrehten Baukörper nehmen mit ihren Proportionen und Dächern Bezug zu den typischen oststeirischen Häusern. Diese sind oft sehr schmal und langgezogen und das steile Dach bildet an zwei Seiten breite Dachvorsprünge mit gut nutzbaren, überdeckten Freiräumen. Genau dies ist hier auch der Fall, aber in verdichteter Form. Man wohnt nicht im Einfamilienhaus, sondern verdichtet und nutzt eben diese Freiräume mehr oder weniger gemeinsam, oder durch schmale und hohe Wandelemente abgetrennt. Das Ganze ist zudem in Holzbauweise errichtet. Die Atmosphäre, die das Material innen wie außen vermittelt, ist unschlagbar.

Zwischen den Baukörpern eröffnet sich ein weiter gemeinschaftlicher Raum, minimal befestigt.
Foto: Sabine Pollak
Ein zartes Holzgerüst als zweite Haut, es wird bald bewachsen sein. Hier wächst alles!
Foto: Sabine Pollak
Satteldächer und Dachvorsprünge interpretieren oststeirische Bauweisen.
Foto: Sabine Pollak

Coworking, Landwirtschaft, Soziokratie

Die Bewohnenden sind altersmäßig gemischt, manche pendeln nach Graz, andere wollen hier selbstständig arbeiten. Dazu ist geplant, die Flächen unter dem abfallenden Gelände zukünftig als Landwirtschaft für den Eigenbedarf zu nutzen. Die Gruppe ist bestens soziokratisch organisiert und hat, so scheint es, eine gute Mischung aus Privatsphäre und Gemeinschaft gefunden. Geplant wurde die Siedlung von den Grazer Architekten Christoph Platzer und Werner Schwarz, realisiert wurde sie gemeinsam mit der relativ neuen Genossenschaft WoGen mit Sitz in Wien, die ausschließlich Baugruppenprojekte betreut, also von Bewohnern initiierte Gemeinschafts-Wohnprojekte. Und das ist gut so, denn mit herkömmlichen Genossenschaften ist ein solcher Prozess kaum durchzustehen und es wird oft nur ein Bruchteil von den Wünschen realisiert. Eine Wiener Genossenschaft in der Oststeiermark? Ja, das geht, wenn auch ohne Wohnbauförderung, die Gruppe hat es finanziell aber dennoch durchgestanden. Und Input von außen tut der Gemeinde auch mehr als gut, keine Frage. Nun hat der Ort plötzlich eine Menge neuer Leute mit Visionen sowie ein Vorzeigeprojekt sowohl in gesellschaftlicher als auch in baukultureller Hinsicht. Vor einigen Jahrzehnten war die Steiermark tonangebend, was guten, partizipativ entwickelten Wohnungsbau betrifft. KooWo schließt genau dort an, aber mit neuen Mitteln.

Das Gemeinschaftshaus, gut umgenutzter und erweiterter Bestand.
Foto: Sabine Pollak
Wohnen am Land, aber ohne Einfamilienhaus. Wozu auch?
Foto: Sabine Pollak

Utopie am Land

Als ich KooWo im Sommer besuchte, vermittelt der Ort das Idyll einer klassischen Utopie. Kinder liefen herum, man baute gerade einen Flohmarkt auf, rundum wurde noch an Details gebastelt und man stellte gerade Tische für das Sommerfest auf. Vielleicht ist inzwischen der Alltag eingekehrt in dem Eggersdorfer Baugruppenprojekt. Vielleicht aber auch nicht. Utopien wurden ja seit jeher eher auf dem Land als in der Stadt realisiert. Man fühlte sich dort freier, konnte Visionen von Selbsterhaltung und neuen Ernährungsweisen austesten und hatte genug Raum für gemeinschaftliche Aktivitäten. Städtischer Raum hingegen war teuer und ist es mehr denn je. In der Stadt fühlen sich Nachbarn schnell gestört durch Kinder, und was den Anbau von Gemüse und Obst und eine etwaige Tierhaltung betrifft, sind die Möglichkeiten in der Stadt begrenzt. Irgendwann macht es auch keinen Sinn mehr mit den Gemeinschaftsbeeten und den vertikalen Farmen. Vor allem nicht, wenn der Raum am Land da ist und die Gemeinden ohnehin Lösungen für leere Ortskerne und zerfransende Ränder suchen. Eggersdorf hat auf einen Schlag viel gewonnen, eine verwirklichte Utopie, ein Arkadien unter den ländlichen Wohnformen. Es wäre zu wünschen, wenn es so weitergehen würde in dem Ort. Bitte, liebes Eggersdorf, mach etwas daraus. (Sabine Pollak, 17.10.2019)

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