Im Gastkommentar erinnert sich der Historiker und ehemalige Grünen-Abgeordnete Harald Walser an den "Fall Aula" – für ihn auch ein "Fall Justiz".

Was ist schon "normal"? Dass man KZ-Überlebende nicht als "Massenmörder", "Kriminelle" und "Landplage" diffamieren kann, sollte in unserer Gesellschaft eigentlich normal sein. Diese Begriffe aber waren vor vier Jahren für die Befreiten im "freiheitlichen Magazin" "Aula" zu lesen. Sie führten zu zivil- und medienrechtlichen Klagen gegen die jahrzehntelang personell und finanziell durch die FPÖ beziehungsweise deren hochrangige Parteifunktionäre unterstützte Zeitschrift.

Der aus Polen stammende Jude Aba Lewit fühlte sich beleidigt. Er wurde 1940 bei einer SS-Razzia in der Nähe von Krakau verhaftet und kam im August 1943 gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder nach Mauthausen. Das KZ überlebte er nur mit viel Glück. Und jetzt sollte er ein "Krimineller" und eine "Landplage" sein? Gar ein "Massenmörder"? Gemeinsam suchten wir zehn weitere Betroffene, um in deren Namen eine Klage einreichen zu können. Diese war erfolgreich. Es erging ein klares zivilrechtliches Urteil. Damit war der Fall aber nicht erledigt. Der "Fall Aula" mutierte recht schnell zu einem "Fall Justiz". Es entwickelte sich eine nahezu unendliche Geschichte.

Irrungen und Wirrungen

Die "Aula" berichtete in einem Nachfolgeartikel erneut und wiederholte die infamen Lügen nicht nur, sondern verschärfte sie sogar in hämischer Weise. Das OLG Graz aber urteilte in einer weiteren Klage, es handle sich dabei lediglich um eine wörtliche Wiedergabe der ursprünglichen Behauptungen, und diese habe keinen "eigenen Bedeutungsgehalt". Das Gericht konstatierte zwar durchaus "Häme", die aber sei – so wörtlich – "ausschließlich gegen das von Harald Walser als strafwürdig empfundene Verhalten der "Aula" beziehungsweise des Autors durch den Ursprungsartikel" gerichtet.

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Ein KZ-Überlebender bei einer Gedenkfeier in Mauthausen 2019.
Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Irrungen und Wirrungen in der Grazer Justiz! Die Klage im medienrechtlichen Verfahren, das sich aus Fristgründen auf einen Nachfolgeartikel in der "Aula" bezogen hatte, wurde abgewiesen. Es sei – so das Gericht – "nachvollziehbar", dass die im Mai 1945 aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreiten Häftlinge für die oberösterreichische Bevölkerung eine "Belästigung" gewesen seien. Das ließ bei vielen die sogenannten Grausbirnen aufsteigen und löste bei gestandenen Juristinnen und Juristen Bestürzung aus.

Kleiner Zwischenerfolg

Ich habe damals umgehend eine parlamentarische Anfrage eingebracht, die den damaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) zu einer eindeutigen Stellungnahme veranlasste: Er kündigte Schulungen zum Grundlagenwissen der Justizgeschichte für angehende Richter an. Die Grünen haben Aba Lewit dann dabei unterstützt, auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Klage einzubringen. Die Beschwerde richtete sich formal gegen die Republik Österreich. Im juristischen Kern ging es darum, ob sich der Kläger als damals aus dem Lager Mauthausen befreiter Insasse von Begriffen wie "Massenmörder", "Kriminelle" und "Landplage" auch "selbst betroffen fühlte". Diese Frage wurde von den Grazer Gerichten nicht ausreichend geprüft.

Auch ein kleiner Zwischenerfolg hatte zuvor nicht wirklich weitergeholfen: Die Prozesse und die Berichterstattung hatten nämlich dazu geführt, dass das 1951 als "freiheitliches Akademiker-Mitteilungsblatt des Akademikerverbandes Österreichs" gegründete Hetzblatt Aula von vielen Repräsentanten aus dem blauen Lager nicht mehr unterstützt werden konnte und eingestellt werden musste.

Verabsäumter Schutz

Der straf- und medienrechtliche Schutz hat in dieser Angelegenheit von Anfang an schon mit der Einstellungsbegründung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Graz komplett versagt, auch die Begründungen für die Verweigerung des Rechtsschutzes im medienrechtlichen Verfahren wegen Paragraf 6 Mediengesetz waren für den Kläger nicht akzeptabel.

Das Urteil des EGMR hat nun endlich für Klarheit gesorgt und der österreichischen Justiz eine ordentliche Watsche verpasst. Die Republik beziehungsweise in diesem Fall die Gerichte in Graz als deren Organe hätten, so der EGMR, "es verabsäumt", Lewits "Recht auf Privat- und Familienleben" und "seinen Ruf" ausreichend zu schützen. Das einstimmig zustande gekommene Urteil bestätigt die Sicht des Klägers.

Signale aus Straßburg

Hoffentlich werden die Signale aus Straßburg bei uns und vor allem in der Justiz vernommen, denn zuletzt hat der rechtsextreme Terrorfall in Halle wieder gezeigt, dass hetzerischen Worten oft auch Taten folgen. Und – nicht nur rhetorische – "Einzelfälle" hatten wir in den letzten Jahren wahrlich genug. Zu erinnern ist etwa daran, dass die "Aula" juristisch vom damaligen FPÖ-Nationalrat Johannes Hübner vertreten wurde, dessen antisemitische Äußerungen im Zuge eines rechtsextremen Kongresses in Deutschland für großen Wirbel gesorgt hatten.

Minister Brandstetter hat damals eine Sensibilisierung der Richterinnen und Richter versprochen. Das Urteil aus Straßburg sollte dazu beitragen.

Für Aba Lewit jedenfalls ist es eine späte Genugtuung. (Harald Walser, 10.10.2019)